Im Innern der Dinge
RESIDENZGALERIE / GOLDENE ZEITEN
02/08/19 Am Rande des weiten, von Kriegen und Missverständnissen zerschlissenen Gebiets sieht sich ein Land auf sich alleine gestellt: Holland wirft vieles von sich ab, breitet seine Fühler in neue Richtungen aus und findet sich in der Krise des 17. Jahrhunderts wieder - mit einer Malerei, die einzigartig ist... Die Residenzgalerie präsentiert 73 Meisterwerke dieser Epoche.
Von Franz Jäger-Waldau
Das „Gouden Eeuw“, das Goldene Zeitalter der holländischen Kunst im 17. Jahrhundert war das Ergebnis einer Umbildung: Einzigartige wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Bedingungen bieten den fruchtbaren Boden für die glanzvolle Blüte der holländischen Malerei. In einer Zeit, die gemeinhin als Krisenzeit gilt, wird in die Modernisierung der Landwirtschaft, in Fischfang, Schiffbau und Schifffahrt, Handel, koloniale Stützpunkte in Übersee und in den Aufbau eines Bank- und Kreditwesens investiert. Das überraschend glatte Ineinandergreifen dieser Zahnräder katapultiert das Land an die Spitze des Welthandels. Die Idealisierung der Antike hängt seinen Ideen nicht mehr nach, die Kunst findet ein analytisches Verhältnis zur Wirklichkeit. Funktion von Malerei wandelt sich grundlegend: Die Kirche gibt sich hier weniger interessiert, es kommt zu einer Verselbstständigung nicht-religiöser Themen wie Stillleben, Landschaften, Genrebilder oder Marinedarstellungen. Kapitäne wollen keine Kardinäle im Salon hängen sehen, sondern ihre Flotte. Bauern wollen ihr Land auch in der Stube, die reiche Ernte auch im Winter betrachten können. Die Kunst wird Ware, die Künstler werden zu Malern, sie spezialisierten sich einzelne Genres, die Landschaft, das Stillleben, das Portrait. Doch nur wenige Meister können allein von ihrer Kunst leben. "Tot lering en vermaak": um zu belehren und zu gefallen, eine Interpretation von Horaz‘ "prodesse et delectare", so lautet die calvinistische Forderung.
Techniken werden zu eigenen Formen autonomisiert, etwa die des Stilllebens. Die Menschen fragen sich nicht nur, was die Natur bedeutet, sondern auch was die einfachen Dinge für sie bedeuten. Ein neuer, freier Zugang zur Objektwelt wird aufgebrochen: Wie der Körper in der Anatomie geöffnet wird, werden in Stillleben die Dinge geöffnet und von innen betrachtet. Cornelis de Heem (1631 – 1695) Stillleben mit Austern, Zitrone und Trauben etwa verwendet die Zitrone nicht nur zum Säuern des Süßen, sondern auch als Zeichen für die Tiefenschicht der Dinge.
Im Gegensatz zum katholischen Barock wollen die Bilder nichts verherrlichen, sondern zeigen auch das Nicht-Erhabene: Gerade die triebhaften, unreinen Hunde sind beinahe ausnahmslos Teil der Malereien. Sie lassen sich nicht inszenieren, fügen sich keiner Idealisierung und scheinen immer das zu erkennen, was im Bild nicht gezeigt werden kann. Ihre Blicke sind über den Rand der Bilder gerichtet, ihre Körper beeinflusst von unsichtbaren Kräften. Eben das, was ein Maler sonst verscheuchen würde, wird hier bewusst inkorporiert: Auch die Fliege, die sich während des Abbildens des Objektes zwischen die Speisen setzt.
Die Ausstellung in der Residenzgalerie ordnet die 73 Meisterwerke nach Themen an. Die kostbaren Gemälde der Residenzgalerie stammen aus der altösterreichischen Adelssammlung der Grafen Czernin, die in den 1980er Jahren vom Land Salzburg erworben wurden, jene der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien aus dem Legat des Grafen Anton Franz de Paula von Lamberg-Sprinzenstein.