Countdown. Morphing. Kindelwiegen.
SALZBURG MUSEUM / STILLE NACHT 200
27/09/18 87 Tage 11 Stunden 52 Minuten sind es in diesem Augenblick, der auch schon wieder vergangen ist, bis Weihnachten. Der digitale Ganzjahres-Adventkalender, die erste von drei Installationen des Linzer Ars Electronica Futurelab, blendet beim Eintritt fast ein wenig mit seinen drei strahlend hellen Displays. Dahinter im Halbdunkel schimmern Kastenkrippe, Fatschenkindl und Madonna im geheimnisvollen Dunkel.
Von Heidemarie Klabacher
Erst mit den kommenden Wochen und Monaten wird das Licht hinaufgedreht. Es ist ja auch wirklich noch früh für Jesuskind, Adventkranz und Christbaum. Noch dazu, wo es letzteren noch gar nicht gegeben hat, als Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber das Lied der Lieder schrieben. „Holder Knabe im lockigen Haar - Advent und Weihnacht“ heißt, mit einem Zitat aus der ersten Strophe, die ins Thema so klug wie sinnlich einstimmende erste Station der Ausstellung „Stille Nacht 200. Geschichte. Botschaft. Gegenwart.“ in der Kunsthalle im Salzburg Museum.
Fließend sind die Übergänge zwischen den Themenkreisen. Unter dem Motto der Liedzeile „Da uns schlägt die rettende Stund - Das international gültige Lied“ geht man dem Phänomen der Verbreitung nach. Das Lied wurde in über dreihundert Sprachen übersetzt und wird von zwei Milliarden Menschen weltweit gesungen. In einer weiteren Bildschirm-Installation - „Morphing“ - singen Gesangsstudenten aus aller Welt das Lied in allen nur erdenklichen Sprachen dieser Erde.
Die glasklaren Portäts der Sängerinnen und Sänger verwandeln sich allerdings ständig ineinander - reizvolles Symbol für Einheit... Zuhören kann man, wenn man will, in dem man bewusst den Lautsprecher zur Hand nimmt. Beschallt wird niemand. In der Ausstellung wird das Lied hörbar tatsächlich nur am 24. Dezember gespielt und – ganz leise und quasi zu Studienzwecken - bei der dritten Installation „Autograph“: Auf einem Touchscreen ist das originale Notenblatt zu sehen. Die, ja sehr einfache, Struktur von Gedicht und Melodie kann hier Zeile für Zeile mittels moderner Technik nachvollzogen werden.
Ganz ohne technische Hilfsmittel kommt eine Gruppe gehörloser Menschen aus, die für die Schau „Stille Nacht“ in Gebärdensprache aufgenommen hat: Ein Herzstück der Ausstellung für Direktor Martin Hochleitner, zugleich das herausforderndste und aufwändigste Projekt: „Übersetzten Sie einmal ‚holder Knabe‘ in Gebärdensprache…“
Unter der Textzeile „Uns der Gnaden Fülle lässt seh‘n“ - Zwei Männer ihrer Zeit“ stehen Skizzen der Lebenswege von Franz Xaver Gruber und Joseph Mohr, die sich ja nur kurze Zeit, von 1817 bis 1819 in Oberndorf, gekreuzt hatten. Auffällt in der Vitrine das Ansuchen Mohrs um „Dispens vom Mangel der ehelichen Geburt“ vom 28. Oktober 1811 oder sein ausgezeichnetes Uni-Zeugnis. Zu sehen ist aber auch Grubers Pedalhammerflügel.
Die Geschichte des Liedes im Film ist ebenso Thema (eine erste, genau dreiminütige Verfilmung, entstand 1910. Franz Xaver Grubers Enkel Felix hat 1934 seinen eigenen Großvater gespielt), wie dessen Missbrauch und Instrumentalisierung in der Propaganda der beiden Weltkriege.
Feldpostkarten mit Textvarianten,Christbaumkugeln mit Hakenkreuz oder Zeppelin, aber auch – ein extrem seltenes Stück – ein etwa 25 Zentimeter hoher „Frontchristbaum“ lassen zwischen Gruseln und Mitleid schwanken.
Im „Silent Room“ werden exklusiv in zwei einzelnen Vitrinen die beiden „eigenhändigen Nachschriften“ Franz Xaver Grubers und Joseph Mohrs gezeigt (die „Urschrift“ aus 1818 ist nicht erhalten). Von Gruber sind vier Handschriften auf uns gekommen, von Mohr nur eine einzige aus 1820, die das Salzburgmuseum 1995 erwerben konnte.
Die Ausstellung vermittelt eine Fülle von Information ohne mit Material zu überfordern. Die Balance zwischen den hochmodernen elektronischen Beiträgen aus Linz, den in klassischen Vitrinen präsentierten Kostbarkeiten und den mit Gespür für Dramatik reich gefüllten großen „Schaukästen“ wird perfekt gehalten. Weihnachtliches Rot-Grün kommt nicht vor, die Leitfarbe, auch in den Werbemitteln ist Orange. Das Ganze ist so sinnlich anschaulich, wie kitschfrei.
Gedicht-Analyse ist was ganz Sachliches. Doch gerade sie hilft, Emotion und Gehalt eines Textes in seiner Tiefe auszuloten. Genau das macht die Schau im Salzburg Museum so erhellend, wie bewegend: „Stille Nach 200. Geschichte. Botschaft. Gegenwart.“ ist eine Ausstellung in sechs Strophen.