Kybele, die Ur-Muttergöttin aus der Kaigasse
MIRABELLGARTEN / GRIECHISCHE MYTHOLOGIE
15/05/14 Es soll ja gute Christen geben, die doch nicht bibelfest sind. Dabei haben sie es nur mit einem Gott zu tun. Er nimmt höchstens drei Gestalten an. Die Griechen waren nicht so gut dran: 7.820 Namen hat Dieter Macek in der griechisch-mediterranen Sagen-, Mythen- und Götterwelt dingfest gemacht. Und er hat sich ans Stammbaum-Zeichnen gemacht…
Von Reinhard Kriechbaum
5.770 Leute stehen also nun auf der 61 Meter langen Schautafel, die bis Anfang Oktober im Laubengang im Mirabellgarten zu sehen ist. Die übrigen 2.050 passten einfach in kein Verwandtschaftsschema. Die waagrechte Acht, das Zeichen für Verehelichung, kommt ungefähr so oft vor wie eine Wellenlinie vor einer Dame: Die war dann Opfer oder aktive Mitspielerin in einem Techtelmechtel. Man kann Dieter Macek, der über vier Jahrzehnte seines Lebens als Hobby-Genealoge der Recherche gewidmet hat, nichts vormachen. Er kennt aus der Lektüre so gut wie der gesamten griechischen Literatur wirklich jede und jeden beim Namen. Kein Fehltritt bleibt unentdeckt. Zephir und Boreas waren besonders umtriebig - ein Meer von Wellenlinien! Einmal steht freilich bei einer solchen Liebschaft bloß „Wasserleiche“. Mit einer gewissen Dunkelziffer ist auch im griechischen Mythos zu rechnen.
Die Riesenschautafel mit Salzburg-Bezügen (sie ist illustriert mit Museums-Fotos und Bildern von Landestheater- und Festspielaufführungen zu Griechenstoffen) steht also im Mirabellgarten. Dass sie überhaupt in Salzburg gelandet ist (nachdem sie in Berlin im Pergamon-Museum zu sehen war), hat eine gewisse Folgerichtigkeit. Denn hier in Salzburg hat Dieter Macek, dieser liebenswürdige ältere Herr mit dem imposanten Griechen-Horizont, Blut geleckt.
Kochlehrling war er im „Goldenen Hirschen“, die Gäste strömten zu einer Festspiel-„Elektra“, und der neugierige Knabe hat sich die Oper im Radio angehört. Sonderbare Musik. Aber es muss wohl was dran sein, dachte er sich und fragte im Festspielhaus, ob man ihm die Sache erklären könne. Ein Libretto hat man ihm damals in die Hand gedrückt und schließlich hat Bernhard Paumgartner selbst den wissensdurstigen jungen Mann in „Elektra“ eingeführt und ihm damit „ein Samenkorn eingepflanzt“. Die Neugier war geweckt, die Leselust ungebremst.
Die zu bekochende Festspielgesellschaft hatte Dieter Macek bald über. Er sattelte um auf Eisenbahner. Aber er hat weiterhin, sein ganzes bisheriges Leben lang gelesen, gelesen und gelesen. Auf 11.000 Seiten ist seine Materialsammlung in vier Jahrzehnten angewachsen. Er verkehrt mit Altertumswissenschaftern auf Augenhöhe, will aber selbst nicht als Wissenschafter gelten. Er sieht sich als Künstler – und als Humanist: Jahrtausende seien Götter angebetet worden und schwammen schließlich doch den Bach runter. Auch Götter seien eben sterblich, ist Macek überzeugt. „Religionskämpfe haben keine moralische Grundlage.“ Um diese Botschaft geht es ihm.
„In der als Stammbaum wiedergegebenen Göttergenealogie geht es nur vordergründig um Verwandtschaftsverhältnisse“, erklärt der Vorarlberger. „Gezeigt wird vielmehr eine Landkarte des antiken Weltwissens und Weltverständnisses. Die Gesamtgenealogie versteht sich als Kunstwerk, ist ein ‚Work in progress‘ und wird laufend überarbeitet und ergänzt.“ Macek träumt davon, sein Material einmal in Buchform veröffentlichen zu können. Bei 11.000 Seiten wird sich ein Verleger so leicht nicht finden. Immerhin: Vor ihm hat keiner den Versuch eines solchen umfassenden Antiken-Stammbaums gewagt.
Die Genealogie ist imposant. Die wichtigeren Figuren sind farblich hervorgehoben. Es gibt viele, viele Salzburg-Bezüge. Im Mirabellgarten selbst, versteht sich. Und genug „Originales“ ist in Museen. Etwa jener Kopf der Kybele, den das Salzburg Museum hortet. Kybele wurde im 6. vorchristlichen Jahrtausend „erfunden“, sie ist die älteste Muttergöttin weit und breit. Ihr Porträt wurde in der Kaigasse ausgegraben. Opern- und Theaterfotos illustrieren die handgeschriebenen Namen.
Was hat es mit der Zahl fünf bei Elektra für eine Bewandtnis? Auch die Antike kannte ihre Meiers und Hubers, also tauchen gleiche Namen immer wieder auf. In der Materialsammlung von Dieter Macek finden sich vier weitere Elektras, die aber mit Klytämnestra und Orest nichts zu tun haben.
Wer mehr wissen will, kann im Internet nachlesen. Dieter Macek geizt dort zwar mit Layout, aber nicht mit Informationen. Und per QR-Code kann man sich auch mit dem iPhone gleich an Ort und Stelle noch schlauer machen. 21 kleinere Tafeln enthalten Wissenswertes zu den Figuren, die im Schlosspark von Mirabell in Stein gemeißelt sind.