Der Herr kommt vielleicht unerwartet
GALERIE RUZICSKA / KENTON NELSON
17/11/11 Hand aufs Männerherz, liebe Freunde: Wer hätte nicht so einen perfekt gestylten, adrett frisierten Haushalts-Engel daheim? Wer würde ein solches Heimchen am Herd nicht gern und voller Stolz sein Eigen nennen?
Von Reinhard Kriechbaum
Der amerikanische Maler Kenton Nelson hat sich die Werbefilmchen der fünfziger und sechziger Jahre recht genau angesehen. Aber ach du Schreck: Könnte es sein, dass sich gar nicht so viel verändert hat im letzten halben Jahrhundert? Dass die jungen Damen, die heutzutage im Fernsehen Anti-Aging-Cremes, Mittel gegen Blähungen oder (jüngst gesehen) clevere Erdäpfel anpreisen, jenen bedauernswerten Geschlechtsgenossinen gar nicht so unähnlich schauen, die seinerzeit für Staubsauger oder Scheuermittel die Werbetrommel gerührt haben?
All die Damen sind jedenfalls allein zu Haus, und sie scheinen ihren Tätigkeiten getreu dem biblischen Motto nachzugehen: „Seid wachsam, und haltet euch bereit, denn der Herr kommt zu einer Stunde, in der ihr ihn nicht erwartet.“ Ordentlich frisiert sind sie, und wenn sie die Haustür ins Schloss fallen hören, brauchen sie sich nur, ruckzuck, die Schürze vom Kleid reißen, um als lupenreine, perfekt gepflegte Haushalts-Queen zu brillieren. Undenkbar, dass sie dann in Lockenwicklern oder gar in Jeans dastünden. Es muss ein adrettes Kleidchen sein. Nicht auszumalen auch, dass eine der Protagonistinnen in Kent Nelsons Bildern aufmucken würde gegen die ihr zugedachte Rolle. Im Gegenteil: Das Kochen, Putzen, Aufräumen scheint all die Damen absolut zu erfüllen. Es gibt vor allem, aber nicht ausschließlich Traumfrauen. Da und dort ist auch ein Mann beschäftigt, etwa beim Setzen von Pflänzchen im Garten.
Idealer könnte das Spießbürgerideal gar nicht aussehen als in den sorgfältigst gemalten, von allem Unbill wirklichen Lebens (und von emanzipatorischen Gedanken sowieso) gereinigten Bildern von Kenton Nelson. Der Meister der idealen häuslichen Welt hält uns einen Spiegel vor und will uns zu einem prüfenden Blick auf den Fernsehschirm oder auf die Inseratenseiten der Hochglanzmagazine verführen: Die Vorgaukelungs-Muster funktionieren wie eh und je.
Ach ja, dass der Bildschnitt oft so gewählt ist, dass die Köpfe der fleißigen Hausmütterchen oben abgeschnitten sind, dort, wo gemeinhin der Verstand sitzt: Das sollte uns vielleicht auch ein wenig stutzig machen.