Liebes-Leben aus dem Koffer
WINTERFEST / LES ROIS VAGABONDS
28/12/15 Ein prächtiger Kristall-Luster und ein roter Samt-Windfang in der Manege und ein Paar. Ein Paar? Sie; Eine zierliche Barockdiva mit hoch aufgetürmter weißer Lockenperücke und rotem Mieder mit wechselnden Rocklängen. Er, ein verschmitzter clownsnasiger Naturmensch mit Gartenzwerg-Attitüde.
Von Christiane Keckeis
Gegensätze ziehen sich an? Sie, eine wahre Teufelsgeigerin. Er, ein Bläser zwischen Baryton und Trompete. Gegensätze, die Spannung erzeugen - und Kontraste, aus denen Komik erwächst: „Concerto pour deux Clowns“, das Programm des Duos „Les Rois Vagabonds“, lebt von der Exzentrik der Protagonisten Julia Moa Caprez und Igor Sellem. Alles zusammen verzaubert in seiner einfachen Vielfalt das Publikum im Cicruszelt des Winterfests. Sie beginnt im stilisierten Schreittanz. Sein imitierendes Schreiten ist eher zum Schreien, aber er bemüht sich mit großen Augen und mit einer Ernsthaftigkeit, die berührt.
Zwei Clowns, die „fliegen“ spielen, die versuchen zu Vögeln werden, die nur mit Lauten und Bewegungen, darum kämpfen, höher hinauf zu kommen. Sie dominiert, er fügt sich, wirft ihr Rosen und nimmt sich, was er haben will, als sie die Bühne verlässt. Heimlich ist ja doch er der Größte: Wie mit einfachsten Mitteln bekannte Muster zwischen Mann und Frau karikiert werden – köstlich.
Aber das ist nur ein Seitenthema. Immerhin haben wir es mit einem „Concerto“ zu tun. Musik steht da also im Mittelpunkt. Aus den beiden ominösen Koffern, die als Requisiten zu allem möglichen taugen, die später Schiff, Wiege, Sarg oder Podest werden, schälen die beiden ihre Instrumente heraus. Mit Vivaldis „Jahreszeiten“, durchaus virtuos und bis in ein Höllentempo gesteigert, beginnt die musikalische Akrobatik, die dann gepaart mit körperlicher Akrobatik zu vielen Ohs und Ahs führt.
In welch unmöglichen Stellungen es der Artistin auch noch möglich ist, Geige zu spielen, und zwar wirklich zu spielen - kaum zu glauben. Hals über Kopf, in Hebefiguren, auf seinen Schultern stehend, oder mit ihm auf den Schultern die Manege durchpflügend, das alles unaufgeregt inszeniert, als ob es nichts sei…. Nur ein Bild, nicht menschliches Können, selbstverständlich.
Einen „Donauwalzer“ und einen entzückenden Flirt mit einem Auserwählten aus dem Publikum und einige Viechereien später wird der größere Koffer zum Schiff. Und sie singt eine barocke Affektarie, während er dazu sein Baryton bläst. Die Emotion schlägt Wellen, und der Schiffbruch ist unvermeidlich. Schnell wird ihr roter Rock zum Rettungsreifen und nun rettet sie ihn, er steht auf ihren Schultern. Sicher. So kommen sie durch das Meer, sich aufeinander verlassend. Er strandet schließlich auf einer einsamen Insel – und der Auserwählte aus dem Publikum wird dazu ausersehen, ihn zu retten, Huckepack und mit liebevollsten Dankbarkeitsbezeigungen. Pantomimische Glanzleistungen.
Ravels „Bolero“ entfacht ein Feuerwerk an Leidenschaft und Akrobatik, ihre Überschläge auf einem Fleck wirken wie ein Laufrad, seine Lebensenergie äußert sich in kraftvollen Sprüngen und Salti. Das sprüht von innerem Feuer.
Nach der Explosion die Implosion, sie weinend im Koffer eingesperrt, er hilflos ihrem Schmerz gegenüber, kann er doch nichts tun. Berührend starke Bilder, die immer wieder komisch gebrochen werden – der Koffer wird zur Wiege. Ein Wiegenlied beruhigt und ist so eingängig, dass das Publikum seine Aufforderung zum Mitsingen sensibel aufgreift. Was Musik alles kann!
Die Wiege wird mit ein paar Rosen zum Sarg. Eine neue Geschichte. Traurig – und er spielt herzzerreißenden Blues auf der Piccolotrompete. Klar, dass diese musikalische Liebeserklärung Tote erweckt: Sie schält sich mit verblüffender Biegsamkeit aus dem Sarg und endlich darf das Happy End kommen. Tschaikowskys Klavierkonzert begleitet einen Rosenblätterregen und den weißen Bodennebel – romantische Bilder, die das Herz aufgehen lassen – und die Trapeznummer am Luster dient auch nur mehr dazu, die Kraft und das Vertrauen der Liebe abzubilden. Poesie, Akrobatik, Können – phantastisch inszeniert.