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Totentanz im Dreivierteltakt

SCHAUSPIELHAUS / GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD

27/04/12 „Du entgehst mir nicht“ – das sagt der von Marianne sitzen gelassene Fleischermeister Oskar. Für die junge Frau wird sich diese nur sehr unzulänglich als verzweifelte Liebesbeteuerung getarnte Drohung ruinös bewahrheiten. - Rudolf Frey hat Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ inszeniert.

Von Reinhard Kriechbaum

Ganz in Ordnung wohl, wenn ein noch sehr junger Regisseur eben nicht dort anknüpft, wo man eigentlich einhaken müsste bei diesem „Volksstück“: am Wiener Idiom, am unverwechselbaren Lokalkolorit. Der „Wiener Tonfall“ leuchtet trotzdem da und dort ein klein wenig heraus, mehr oder weniger ungeschickt in der Sprechweise einzelner Darsteller. Üppig aber aus der Musik. Der Regisseur hat die Regieanweisungen zumindest so genau gelesen wie den Text selbst, und Hinweise auf Musik hat er tierisch ernst genommen. Sogar eine „Musik-Figur“ wurde eingeführt. Katharina Pizzera greift gelegentlich zur Geige, sitzt oft im Hintergrund wie ein DJ an seinen Turntables, sie spielt aber auch mit, als Baronin Bontempi. Ein bisserl viel Dreivierteltakt, alles in allem.

Sonst setzt Rudolf Frey auf einen präzisen, analytischen Zugang zum Text. Hinter einer großen, schmuck- und dekorationslosen, leicht ansteigenden Spielfläche sitzen alle Darsteller (nur die Köpfe sind sichtbar). Wenn sie dran sind, kommen sie blitzschnell mit ein paar Requisiten nach vorne. So sind keine Umbaupausen nötig und rasche „Schnitte“ möglich. Die Spielorte erschließen sich suggestiv. Ein rundes Loch in Bühnenmitte, mit Wasser, suggeriert Donau genug.

Alles Unnötige ist weggelassen, auch einige Nebenfiguren sind gestrichen, aber es bleibt Text genug für drei Theaterstunden. Der Fokus liegt auf der Figurenbeschreibung und der genauen Charakterzeichnung. Das ist so ehrgeizig wie mutig, schließlich sind wir nicht im Burgtheater, sondern im Schauspielhaus. Da sind die darstellerischen Fähigkeiten, sagen wir: unterschiedlich. Vom Blutmenschen zur Karikatur – mit diesen Kippeffekten muss man als Zuschauer an dem Abend leben.

Constanze Passin ist Marianne, die Spielwarenverkäuferin, die nie gelernt hat, ihre Bedürfnisse auch nur leise an- oder auszusprechen. Von Träumen ganz zu schweigen. Die oft wort-lose, vorwiegend leise, aber intensive Tragödin wird sie bleiben, bis zuletzt. Alfred, der vermeintliche Tunichtgut, hat also Oskar die Braut abspenstig macht: Auch Albert Friedl zeigt uns eine ruhige, eigentlich zurückgezogene Person. Dieser Alfred ist absolut kein Erzschurke, sondern einfach überfordert. Emotional, materiell und überhaupt.

Ein im Grunde „richtiges“ Liebespaar wird gezielt zermürbt von außen, von dummen Besserwissern oder boshaften Moralaposteln. Den lieben Gott und seine Fürsorge führen sie gerne im Mund, der gehörnte Bräutigam Oskar (Oliver Hildebrandt) nicht anders als Alfreds Großmutter (nahe an der Karikatur: Daniela Enzi). In leise Ergebenheit fügt sich die Mutter (Ute Hamm). Und da ist schließlich noch Mariannes Vater, der Zauberkönig: Georg Reiter zeigt besonders anschaulich, dass wir getriebene und nicht aus eigenem Antrieb handelnde Figuren vor uns haben. Es wäre immer nur ein kleiner Impuls nötig, und der Zauberkönig würde seine Tochter liebevoll umarmen oder wenigstens zärtlich bei der Hand nehmen – genau so weit kommt es aber nicht. Neben Marianne ist der Zauberkönig der eigentlich zweite Tragödie in dem Stück, und Reiter macht ihn zu einer Identifikation stiftenden Figur.

Markus Marotte ist der Rittmeister (ein allgegenwärtiger Zaungast), der bei Valerie seine Lose – immer Nieten – kauft. Ist Valerie, die einzige vermeintlich selbstbestimmte Frau im Stück, ein brauchbares „Gegenmodell“? Vielleicht könnte sie es sein, vielleicht wollte der Regisseur das – aber gerade Elke Hartmann ist mit der Grundtendenz zur Überdrehtheit und einem Hang zum Gezierten nicht die Schauspielerin, mit der man das vorzeigen könnte. Sie ist eine Schwachstelle der Aufführung.

Schwarz ist die Grundfarbe an dem Abend. Man hat – gerade weil so viel Musik ertönt und die Szenenfolge einem eigenen, stringenten Rhythmus folgt – immer wieder den Eindruck, das „Volksstück“ sei zum Totentanz mutiert. Eine alte Gesellschaft, deren Wertvorstellungen von Beziehung und Zusammenleben längst auseinander gebrochen, ja hoffnungslos zerbröselt sind, wird mit sich nicht mehr fertig. Die Zeit für einen Aus- und Aufbruch des Individuums ist aber gerade noch nicht reif.

Aufführungen bis 14. Juni - www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Marco Riebler

 

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