Gutes tun bis zum Verschwinden
THEATER (OFF)ENSIVE / WALLENBERG
21/10/11 Er rettete Tausende Juden in Ungarn vor dem Holocaust. Der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg, über dessen Verbleib es nach 1947 keine Spur mehr gibt, ist Protagonist einer Geschichte des österreichischen Autors Ernst Pichler.
Von Ursula Trojan
„Weihnachten 44. Statt Kerzen brannten Städte, statt Orgelmusik erklangen Stalinorgeln auf den Feldern.“ Das Publikum sitzt hautnah, wenn die Figuren des ersten Auftritts davon erzählen. Der Boden vibriert unter den Stiefeln der Auf- und wieder Abmarschierenden. In der Mitte steht ein Holz-Kubus, dessen Seitenteile erst noch als Wände fungieren. Er wird später aufgeklappt werden und sein Inneres freigeben: das Interieur eines russischen Gefängnisses.
Der österreichische Autor und Theatermann Ernst Pichler nahm Wallenbergs bevorstehenden 100. Geburtstag zum Anlass, dem schwedischen Diplomaten ein Stück zu widmen. Ausgehend von historischen Fakten und Personen behandelt Ernst Pichler darin Wallenbergs bis heute nicht geklärtes Schicksal theatralisch. Raoul Wallenberg rettete in Ungarn Tausende Juden vor dem Holocaust, indem er ihnen "Schutzpässe" zuteilte und sie in über dreißig verschiedenen Schutzhäusern unterbrachte. Sein diplomatischer Status kam ihm dabei zu gute. 1947 geriet er in russische Gefangenschaft, danach verliert sich seine Spur. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bühne Ungarn in Szekszard stellt die Theater(Off)ensive diesen „wichtigen Beitrag gegen das Vergessen“ vor.
Die Hommage an Wallenberg hatte am 3. Oktober in Ungarn ihre Uraufführung. Schauplatz der Österreichischen Erstaufführung ist die "Alte Mälzerei" in der Stiegl Brauwelt. Premiere war am Dienstag (18.10.) in der Alten Mälzerei in der Stiegl Brauwelt.
Der Autor schenkt seiner Hauptfigur den Satz „Ich bin Optimist“. Wallenberg, dargestellt von Andreas Peer, behält auch in Gefangenschaft Ruhe und Selbstsicherheit. Er wird nicht gefoltert, aber auch nicht verhört. Seinem Chauffeur und Freund Vilmos (Herwig Ofner) hingegen ergeht es bei weitem schlechter. Den Spritzen, die ihn gefügig machen sollen, kann Wallenberg nicht entgehen. Tränke und Pillen jedoch schüttet er in den Abfluss. Das Spülungsrohr bietet Kontakt zu den Mithäftlingen: Mittels Klopfzeichen kann man sich untereinander verständigen.
Detlef Trippel übernimmt mehrere Rollen. In seiner Haupt-Rolle nennt er sich selbst „Joker“ und moderiert als solcher die Geschehnisse. Alexander Mitterer hat immer wieder seine Auftritte als Stalin. Ein Mal wechselt er kurz die Seite und den Telefonhörer: Da ist er Hitler. Für die Regie zeichnet Alex Linse verantwortlich. Nicht nur die Szene, in der Wallenberg mit seinem Mithäftling zusammen das gleiche Volkslied singt – er auf schwedisch, der andere auf deutsch – geht unter die Haut.
Oft ist eine Szene beklemmender als die vorangegangene. Durchatmen zu können ist nicht im Sinne des Autors - und auch nicht des Regisseurs. Die Schauspieler agieren konzentriert, vielleicht auch manchmal zu steif. Kitsch und Rührseligkeit bleiben einem (dadurch?) zum Glück erspart. Des Autors Gedanke ist "So hätte es sein können". Weil "Wallenbergs Name in den Archiven gelöscht wurde", bietet er auch ein mögliches Ende an. In dem lässt er seine Hauptfigur zusätzlich noch Gutes tun. Dies mutet bei näherer Betrachtung dann doch etwas zu dick aufgetragen an.