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Die Party ist vorbei...

LANDESTHEATER / DER KIRSCHGARTEN

08/14/24 ... aber das heißt nicht, dass es mit dem Tanzen ein Ende hat. Die Assoziation zu einem Totentanz stellt sich wiederholt ein in Alexandra Liedtkes Salzburger Inszenierung von Anton Tschechows Lebens- und Gesellschafts-Abgesang Der Kirschgarten.

Von Reinhard Kriechbaum

„Ich weiß gar nicht, ob ich Tee trinken soll oder mich erhängen“, sagt Semjon Jepichodow, der uns hier nicht als melancholischer Gutsbesitzer entgegentritt, sondern als herumlungernder subalterner Eigenbrötler, dem die Arbeit abhanden gekommen ist. Damit ist er so etwas wie das Alter Ego des greisen Dieners Firs, der mit seinen Kaffeetassen durch diese heutige Welt von Gestern schlurft und sinniert: „Man muss die Vergangenheit besser sehen als sie war, um an der Gegenwart nicht zu verzweifeln.“

Die Welt von Gestern – Stefan Zweig hat auf dem Kapuzinerberg gelebt, in Luftlinie keine fünfhundert Meter vom Salzburger Landestheater entfernt, bevor er seine letzte Reise ins brasilianische Exil angetreten hat. Da darf einem schon dieser Buchtitel einfallen, auch und gerade zu Tschechows Kirschgarten. Semjon und Firs (Georg Clementi und Marco Dott) bilden in Alexandra Liedtkes Inszenierung ein allgegenwärtiges komisches Dienerpaar – beide eben so wenig abzuschütteln wie die Erinnerung an bessere Zeiten. Was für eine Liebesszene, wenn Jascha, der hier keineswegs seiner Funktion als „junger Diener“ nachkommt, bloß mit Short angetan Charlotta auf den Schoß nimmt und Semjon diese Liebesszene als gehörnter Grand Guignol aus nächster Nähe beobachtet. Zuvor hat Jascha (in diese Rolle hat die Regisseurin den Text mehrerer Figuren gepackt) mit strotzendem Selbstbewusstsein verkündet, dass er sich selbst sowieso als den Traum aller Frauen einschätzt und herablassend erklärt: „Leidende Frauen sind so niveaulos.“

Alexandra Liedtke hat viele kleine Geschichten herausgeschält aus dem liebenswerten Figuren-Pandämonium. Eine jede und ein jeder schaut sehnsüchtig hinaus in den Kirschgarten, aber es braucht ja gar nicht erst die Kettensäge zu dessen Abholzung. Ein morsches Baum-Skelett hat man zuletzt sogar ins Haus gezerrt. Wie ein biologisches Memento mori liegt das Ding sonderbar deplatziert da. Neben ihm wird die ohnmächtige Ljubow, die besonders hingebungsvoll nostalgiebegabte Hausherrin, hingebettet, nachdem sie erfahren hat, dass Lopachin den Kirschgarten ersteigert hat. Ausgerechnet er, der das Grundstück parzellieren und so etwas bauen will, was man heutzutage Chalet nennt. Solche Touristenbleiben haben heutzutage als Boden fressende und den Augen ungefällige Touristenbleiben keinen guten Ruf. Aber das muss man gerade hierzulande nicht herausstreichen, da spart sich die Regisseurin etwaige Anspielungen.

Tina Eberhardt spielt die quasi im Sprung gelähmte Lebefrau Ljubow Andrejewna Ranjewskaja, die kurzerhand das Radio aufgedreht hat, als Lopachin (Maximilian Paier) ihr das erste Mal seine Idee vom Ferienhausbau vorgetragen hat. Sie will, kann ja nicht hören auf das Offenkundige. Ihr Ohnmachtsanfall später erfordert übrigens einen reaktionsschnellen Sprint von Lopachin, der die isoliert Dastehende im allerletzten Moment auffängt.

Diese Inszenierung besticht mit vielen kleinen Aufmerksamkeiten, die jede einzelne Figur als Individuum auszeichnen. Die kollektive Realitätsverweigerung hat viele Gesichter. Jenes von Tochter Anja (Leyla Bischoff) ist besonders offen, wogegen Pflegetochter Warja (Nikola Jaritz-Rudle) fast versteinert wirkt. Larissa Enzi als Charlotta, Bedienstete mit wenig Aussichten, wird, wer weiß, doch einmal mit Jascha (Thomas Wegscheider) glücklich. Der weiß aber vorerst, dass „in Paris alles besser“ ist, „auch die Frauen“. Wird aber nichts aus Paris.

Gregor Schulz als Student Pjotr und Maximilian Paier als der geldige Lopachin, der sich „Bauer“ schimpfen lassen muss: Das sind jene beiden, die hinausblicken aus dem engen Kirschgarten-Horizont und doch ein jeder auf seine Art zugleich festhängen in der Konvention. Ljubow greift Pjotr beherzt in den Schritt, als dieser allzu vollmundig von der künftig besseren Welt spintisiert, und Lopachin wird als frischgebackener Gutsherr total verunsichert und allein dastehen, ratlos den Schlüssel in Händen halten – auch er kann einem leid tun. Leonid Gajew (Matthias Herman), soignierter Bruder der bankrotten Gutsbesitzerin, wird sich am Ende selbst hineinsetzen in den Bücherschrank, von dem er so geschwärmt hat und der doch nur als Vitrine für einen Strauß Trockenblumen gedient hat.

Viele einnehmende Ideen, dabei immer ein gewisser Hang zur Übertreibung, zur ein klein wenig überdosierten Emphase. Das Sich-Zurücknehmen gelingt generell weniger gut als das Aus-sich-Herausgehen. Die Regisseurin weiß die Stellschrauben so zu justieren, dass das Ensemble rund und gleichgewichtig wirkt.

Gar wundersam das Dreh-Bühnenbild von Philip Rubner. Drei parallele Wände mit sehr vielen Türen machen es möglich, dass immer mehr Leute gegenwärtig sind, als in der jeweiligen Szene vorgeschrieben. Da ist niemand je allein oder zu zweit, immer sind Augen- und Ohrenzeugen zugange. Und ein weiteres Zaubermittel: der Tanz – sei's auch die Anmutung von Totentanz, als pantomimische Überhöhung zwischen den Akten. Das hat Stil.

Ans Herz greift der Tod des uralten Firs, der sein Haupt in den Schoß von Grischa legt – Ljubows verstorbener Sohn taucht in dem Totentanz gelegentlich als Wiedergänger auf.

Aufführungen bis 12. Juni – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Tobias Witzgall

 

 

 

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