Bauer sucht Frau – und findet
SCHAUSPIELHAUS SALZBURG / ADERN
23/03/24 Seit der Uraufführung vor fast auf den Tag genau zwei Jahren im Wiener Akademietheater gehört Adern von Lisa Wentz zu den gut gefragten Stücken. Jetzt kann man auch im Schauspielhaus Salzburg die anrührende Geschichte einer Zweckehe in der Nachkriegszeit in den Tiroler Bergen erleben.
Von Reinhard Kriechbaum.
Rudolf, Bauer, verwitwet, fünf Kinder. Per Inserat haben Aloisia und er zusammengefunden. Sie hat eine Tochter von einem französischen Besatzungssoldaten. Der ist auf und davon. Nun steht sie also in der ersten Szene mit Koffer und Kind da. Keine Situation, große Reden zu schwingen. Das wird auch in Zukunft beider Art nicht sein. Die 1995 geborene Autorin ist Tirolerin, sie kennt ihre Landsleute aus höheren geographischen Zonen. Da trägt man das Herz nicht auf der Zunge, es sei denn, diese wird durch reichlich Alkohol flott gemacht. Und jene Dinge, die das Herz belasten, bleiben dort wie in einem Tresor eingeschlossen. Was genau mit Rudolf passiert ist im Krieg, als er Sprengungen durchführte in einem Bergwerk, in dem zu Kriegszeiten von Zwangsarbeitern Kriegsgerät erzeugt wurde? Wir erfahren es nicht, zu schwer lastet das Traumatisierende auf Rudolfs Zunge.
Adern ist die Geschichte einer zurückhaltenden pragmatischen Annäherung. Liebe geht grundsätzlich anders, aber Rudolf (Antony Connor) und Aloisia (Daniela Meschtscherjakow) nähern sich Schritt um Schritt an.Das Zutrauen, die Vertrautheit wachsen. Sogar ein gemeinsames Kind wird gezeugt.
Lisa Wentz bändigt diese Geschichte chronischer Einsilbigkeit in lapidaren Dialogen, in denen sich auch nicht wenig Witz findet. Irgendwie wirkt ist diese im Grunde sehr positive Geschichte wie ein Verschnitt aus Ödön von Horváth (ohne dessen Hyper-Depression) und Franz Xaver Kroetz (ohne dessen überspitzte Dramatik). Es wäre ein „Volksstück“, wäre da nicht auch eine allegorische Figur „Die Berg“. Diesen Namen verschweigt das Programmheft im Schauspielhaus Salzburg. Die drei weiteren Figuren der Handlung bilden für „Die Berg“ eine Sprech-Gruppe, die mehr oder weniger poetische Wortgespinste wie ein Chor in einem antiken Drama absondert. Sind es die schweren Schatten in Rudolfs Erinnerung oder eine allgemeine berg- und unterberg-weltliche Düsternis? Auch das bleibt offen.
Max Claessen hat ganz Text-adäquat inszeniert, schlackenlos und präzise. Ungemein charismatisch vor allem Daniela Meschtscherjakow. Dieser Aloisia sieht man in der Mimik an, dass sie (wie abgeschmackt!) das Herz am rechten Fleck hat und sie jede knifflige, meist von Sprachlosigkeit herrührende Situation souverän meistert. Auch Antony Connor als Rudolf ist ein ur-guter, wenn auch etwas hilfloser Mensch. Er ist so gut, dass er seinem Freund aus Bergkumpel-Zeiten, dem versoffenen Danzel (Theo Helm), immer wieder Geld leiht, was die Lage der Familie mit zuletzt sieben Kindern nicht gerade erleichtert. Aber Danzel schleppt, wie zur Wiedergutmachung, auch ein Röhrenradio und dann sogar einen Fernseher an. Luxus in den Jahren, bevor das Wirtschaftswunder einsetzte und Tirol zum reichen Tourismusland mutierte.
Eine zwielichtige Figur ist die kinderlose und darob vehärmte Hertha, die ihrer Schwester so manchen wenig gut gemeinten Rat gibt, aber das bescheidene Glück von Aloisia und Rudolph doch nicht irritieren kann. Theres (Jana Magdalena Rieger) ist die älteste Tochter von Rudolf, die selbst ein Kind bekommt und heiratet, den Hof verlässt und sich im Tal, quasi im Schatten des Bergs niederlässt, was Rudolf Seelenpein bereitet. Die langen Schatten von „Die Berg“. Auch Frieda, das Kind (Arianna Meschtscherjakow) darf wie eine Traumgängerin Poetisches von sich geben. Der Regisseur war auch sein eigener Bühnenbildner. Vor einer dunkel dräuenden Felswand hat er nichts als einen Tisch und zwei Stühle gestellt. Das reicht in dieser dichten Inszenierung, um Kargheit wie beinah schon heimelige Atmosphäre zu imaginieren: Bauer sucht Frau – und findet. Eine trostreiche Botschaft.