Ein kleines Festival am seidenen Faden
HINTERGRUND / SALZBURGER MARIONETTENTHEATER
23/02/24 Seit gestern, Donnerstag wehen auf der Staatsbrücke Fahnen, die auf das Salzburger Marionettentheater hinweisen. Der Grund ist ein wenig rundes, dafür einprägsames Jubiläum: Vor 111 Jahren, am 27. Februar 1913 fand die erste öffentliche Aufführung des Salzburger Marionettentheaters mit Mozarts Singspiel Bastien und Bastienne statt.
Von Reinhard Kriechbaum
Eben erst hat man in der Mozartwoche mit Aufführungen von Nikolai Rimski-Korsakows hübschem Operneinakter Mozart und Salieri vorgeführt, welcher Reiz davon ausgehen kann, wenn Menschen und Puppen zusammenwirken. Auch eine neue Marionettentheater-Produktion im Herbst soll diese Spannung sichtbar machen. Nach der Osterspielzeit in Salzburg beginnen nämlich Probenarbeiten zu einer der berührendsten Liebesgeschichten der Welt: William Shakespeares Romeo und Julia, in einer zeitgenössischen Inszenierung von Thomas Reichert. Bei dieser Produktion werden die Puppenspielerinnen und -spieler wieder manchmal sichtbar sein – es gibt erneut den Wechsel zwischen „offener“ und „verdeckter“ (illusionistischer) Spielweise.
Für diese Neuproduktion entstehen in den eigenen Werkstätten derzeit unter anderem neunzehn neue Marionetten für zwölf Rollen. Die Kostüme hat Ensemblemitglied Edouard Funck entworfen.
Die Marionettenspieler verstehen sich ja nicht nur aufs Fädenziehen. Funck und seine Kolleginnen Marion Mayer und Anne-Lise Droin sind in der Kostümschneiderei aktiv, Vladimir Fediakov betätigt sich auch als Bildhauer, Schnitzer und Puppenbauer, Emanuel Paulus ist auch als Bühnenbildmaler aktiv. Andere sind für Requisite zuständig. Ein kleiner Theaterbetrieb eben.
Die Premiere von Romeo und Julia am 24. Oktober wird auch der Auftakt zu einem dreitägigen Festival sein, zu dem man Ensembles aus ganz Europa einlädt. Dieses Gipfeltreffen soll ganz der Fadenmarionette gewidmet sein. Kein Zufall, dass man im Marionettentheater von der „Königsdisziplin des Puppenspiels“ spricht. Die Puppen hier hängen ja seit je her am sprichwörtlichen seidenen Faden.
Als Anton Aicher (1859-1930) vor 111 Jahren seine ersten Figuren gestaltete, sollten sie sich so menschenähnlich wie möglich bewegen. Dafür entwickelte er ein spezielles Führungskreuz, welches in nahezu unveränderter Form auch heute noch bei den Marionetten im Einsatz ist. Dieses Kreuz ermöglicht jene unvergleichliche Spielweise, für die das Theater 2016 als immaterielles UNESCO-Kulturerbe ausgezeichnet wurde. Aichers Figuren waren übrigens deutlich kleiner – etwa der hier abgebildete Kasperl. Die heutige Marionetten reichen Menschen etwa bis zur Hüfte.
„Fantasie ist immer noch gefragt – sie ist eine Notwendigkeit in unserer schnelllebigen, digitalen Welt“, sagt Philippe Brunner. Seit 2020 leitet er gemeinsam mit Susanne Tiefenbacher das Salzburger Marionettentheater, sie als Geschäftsführerin, er als künstlerischer Leiter. Über drei Generationen hinweg führte die Familie Aicher das Marionettentheater und verhalf ihm zu weltweiter Bekanntheit. Nach dem Tod vonGretl Aicher im Jahr 2012 wurde das Theater von Barbara Heuberger weitergeführt.
„Marionetten finden über alle Generationen hinweg ihr Publikum und faszinieren bereits während ihrer Entstehung durch die Verknüpfung verschiedenster Handwerkskünste“, so Philippe Brunner. „Sobald die kleinen Geschöpfe an Fäden die Bühne betreten, taucht das Publikum in eine Welt voller Illusion ein und erliegt der Magie dieser zauberhaften Kunstform. Auch das hat uns dazu bewogen, ein kleines feines Festival ins Leben zu rufen, mit dem wir den Salzburgern und Gästen ein Kaleidoskop der verschiedensten Arten von Puppenspiel präsentieren möchten.“
Philippe Brunner ist seit 2003, also schon über zwanzig Jahre im Salzburger Marionettentheater tätig. Der gebürtige Berliner hat Musikwissenschaft und Englische Literatur studiert und die Junge Marionettenoper Berlin gegründet. Weitere berufliche Stationen waren die Internationalen Musikfestwochen Luzern und die Berliner Festspiele, auch war er Produktionsleiter bei ECM Records München.
Dem zweifelhaften Image, vor allem Gäste der Stadt und auf Tourneen ausländisches Publikum zu bedienen, steuert man seit einigen Jahren sehr bewusst entgegen. Für Mozart und Salieri jüngst kooperierte man mit der Stiftung und der Universität Mozarteum. Im Dezember haben die Marionetten für ein Konzert mit dem Pianisten András Schiff ihren angestammten Platz verlassen und sind aufs Podium im Großen Saal des Mozarteums gewechselt. Auch mit dem Salzburger Landestheater arbeitet man seit Jahren regelmäßig zusammen, im vergangenen Herbst war wieder die originelle Instant-Fassung von Wagners Ring zu sehen.
„Wir entwickeln neue Produktionen und arbeiten an spartenübergreifenden Kooperationen“, bekräftigt Geschäftsführerin Susanne Tiefenbacher. „Wir partizipieren an den Förderprojekten des BMKÖS zur Digitalisierung des kulturellen Erbes und und streben als nachhaltig agierender Kulturbetrieb die Umweltzertifizierung an.“ Im Haus in der Schwarzstraße finden pro Jahr rund 150 Vorstellungen statt. „Wir gehen immer wieder auf Landpartie in Schulen des Bundeslandes, veranstalten Workshops für Kinder und Erwachsene und zeigen unsere Produktionen auf internationalen Gastspielreisen in aller Welt“, sagt Susanne Tiefenbacher. Die Salzburger Kultur-und Eventmanagerin war vor ihrer Tätigkeit im Marionettentheater unter anderem Leiterin des Winterfests und des Literaturfests Salzburg.
www.marionetten.at
Bilder: Salzburger Marionettentheater
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