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Der freie Mensch gleicht einer defekten Lampe

SCHAUSPIELHAUS SALZBURG / CORPUS DELICTI

26/01/24 Mord, Vergewaltigung: Die Verurteilung des Beschuldigten macht aus dessen Schwester, die so willig der Methode, einem autoritären Staatswesen, gefolgt ist, eine Widerständige. Juli Zehs Corpus Delicti als atemberaubendes Kammerspiel um die Verletzlichkeit eines Außenseiters, der aus dem Gemeinschaftsrahmen einer Gesundheitsdiktatur fällt.

Von Erhard Petzel

Mia Holl ist als Naturwissenschafterin zunächst automatische Befürworterin der Methode, ein Gesellschaftsmodell, bei dem Gesundheit zum absoluten Ziel entwickelt ist, dem alles untergeordnet wird. Der Selbstmord ihres freakigen Bruders Moritz wirft sie aus der Bahn, wodurch sie im System auffällig wird. Heinrich Kramer (Namensbezug zum Verfasser des Hexenhammers) baut sie als Propagandist für das System zu dessen Feinbild auf, indem er Moritz Holl zum Rädelsführer einer Terrorgruppe (R.A.K. = Recht auf Krankheit) stilisiert und ihre Aussagen dahingehend verdreht. Sie wird im Zuge dieses Gerichtsverfahrens (Untertitel des Buches: Ein Prozess) zur unfreiwilligen Ikone des Widerstandes und zum Einfrieren verurteilt (Ersatz für eine Todesstrafe). Die Methode ist so unantastbar, dass sie sich die Begnadigung Mias leistet, obwohl das Aufdecken eines Fehlurteils an Moritz Holl es fast ins Wanken gebracht hat. Sie nimmt damit Mia die Möglichkeit zur Freiheit, wenigstens in Würde mit ihrem Leben selbstbestimmt abzuschließen.

Freiheit ist nur einer der Begriffe und Themenkomplexe, die in Corpus Delicti abgehandelt werden, aber ein zentraler mit der Antipode Sicherheit. Juli Zeh will das Buch auch weniger als Dystopie verstanden wissen, sondern mehr als eine zugespitzte Beschreibung aktueller Zustände. Generell stört sie die Politisierung des Privaten durch einen gängelnden Staat. Dabei wendet sie sich nicht gegen die Bedeutung von Wissenschaft oder gesellschaftsrelevantem Regelwerk. Sie mahnt aber zur Vorsicht bei der Verabsolutierung von Normen und moralischen Imperativen. Interessant wäre in dem Zusammenhang ihre Einordnung der Corona-Protestmärsche. „Der freie Mensch gleicht einer defekten Lampe“ (Zeh aus dem Munde Moritz’).

Das Drama von 2006, zum Roman verarbeitet 2009, wird von Jérôme Junod auf das Wesentliche konzentriert und gerät unter der Regie von Tabea Baumann zum Leuchten. Die sechs verbliebenen Rollen werden von drei Leuten ausgeführt. Das verleiht dem Stück eine plastische Kompaktheit, in der Bezüge deutlich hervor treten, zumal hier fantastische Theaterpräzision zelebriert wird.

Spielt Theo Helm sowohl Heinrich Kramer, die öffentliche Stimme der Methode, als auch Rosentreter, den Pflichtverteidiger von Mia Holl mit Aversionen gegen dieses System, werden Parallelen der beiden Figuren offengelegt. Und das, obwohl Kramer eine überlegene Gesellschaftsgröße mit Aura und starker Präsenz darstellt, mit allen Wassern gewaschen, Rosentreter hingegen eher als unbeholfener Wurschtel daherkommt, der auf Mias Kosten seinen großen Auftritt gegen das System der Methode hinlegen kann.

Christiane Warneke hat gleich drei Rollen zu bewältigen, wobei die Ideale Geliebte und Moritz (Mias Bruder) ganz natürlich zusammengehören, ist sie ja seine Hirngeburt, die er seiner Schwester vor seinem Tod vermacht, um sie auf seine Pfade der Lebenserkenntnis zu führen. Dazu schlüpft Warneke aber auch noch in die Robe der Richterin Sophie. Auch das ist stimmig, bilden die Ideale Geliebte wie die Richterin doch Diskurs-Antipoden zu Mia im Wechsel von Zuneigung und frustriertem Entsetzen.

Im Zentrum all dieser Diskurse steht Magdalena Lermer als Mia Holl. Vor allem ein riesiges Kompliment: Obwohl der Text von philosophischen Auseinandersetzungen überquillt und einiges an literarischer Rhetorik aufbietet, schafft das Team eine faszinierend lebendige Darstellung und liefert spannende Auseinandersetzungen mit perfekt gesetzten Pointen.

Zur Wirkung der Aufführung trägt besonders die genial funktionale Bühne bei (Ausstattung Ragna Heiny). Drehpaneele schaffen zwei Räume, krankenhausgrün und rostbraun. Ein weißes Sitzei dient auch als Projektionsobjekt für stimmig verhuschte Bilder. Beleuchtung imaginiert Rückzugsraum Natur (Marcel Busá). Dazu sparsam Akustisches. Ein Gesamteindruck, der Begeisterung auslöste.

Wer das Buch kennt, genießt dessen farbiges und plastisches Konzentrat. Wer nicht, findet dessen klare Umsetzung und sollte sich problemlos trotz Zeitsprüngen zurechtfinden.

Aufführungen bis 11. März auf der Studiobühne – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese

 

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