Wo bleibt das Leben beim Überleben?
KAMMERSPIELE / WIE MAN IM LEBEN ALLES RICHTIG MACHT
11/03/23 Wie man im Leben alles richtig macht. Kein Lebensratgeber für Klimakleber, sondern eine in sich schwebende Performance als Abhandlung über allmächtig tönendes Geschwätz. Uraufführung des Stücks von Sarah Henker und Lea Mantel – ein Spiegel ohne Anspruch auf Weltverbesserung, aber immerhin ein Spiegel.
Von Erhard Petzel
Zwar wird zu Beginn das Versprechen abgegeben, dass sich in der vorgesehenen Zeit an diesem Ort die Lösung für den Wahrnehmungssturm aktueller Problemlagen darbiete. Die Chuzpe dahinter ist aber sogleich zu durchschauen, gerade weil man sich wissenschaftlich und Fakten bezogen geriert. Die eingenommenen Attitüden werden sich nicht wirklich zu politischen Manifesten hochschrauben, sie sind, was sie sein können und sollen: Theater. Spiel mit Erwartungshaltungen, Beobachtungen, Inszenierungen und dem hohl tönenden, allgegenwärtigen Blabla mit dem lächerlichen Anspruch authentischen Ausdrucks. Eine Henker- und Mantel-Aktion als bitterheitre Satire ohne bösen Sarkasmus. Premiere war am Freitag (10.3.) in den Kammerspielen.
Versuchsanordnung und Ausstatterin Eva Musil hüllen die Fünf auf der Bühne zunächst in weiße Laborkleidung, wenn sie sich in einem mit Kartonagen voll gestellten Raum bewegen. Im ersten Teil geht die geschlechtsflexible Kunstfigur Alexa durch den heutigen Tag und die sich teilweise widersprechenden Charaktere, gespielt von Genia Maria Karasek, Nicola Kripylo, Matthias Hermann, Gregor Schulz und Rumo Wehrli.
Aus dem Himmelbett fällt Alex 1 in die Orgie an Werbung über Apps am Smartphone und Twitter-Mist. Auch eine Partnervermittlungs-App macht nicht richtig selig. Alex 2 steht mit Kind in der Kassaschlange am Zoo, die biologische Seite von Fortpflanzung reflektierend. Die Szenerie ist aber flexibel. Ein Einkauf wird zum ideologischen Spießrutenlauf der Selbstgerechten, sodass zwei Joghurt zu Beginn einen Meinungs-Tsunami der Besserwisser auslösen, der in einen mit politisch unkorrekten Lebensmitteln angefüllten Kübel mündet. Alex 3 fährt mit dem Bus zur Arbeit und bricht über dem Nonsens der dort verklickerten Verschwörungstheorien unter dem Diktum selbständigen Denkens zusammen.
Alex 4 bringt als Schauspieler mit Partnerin den Regisseur bei der Probe zu Ibsens Nora zum Ausflippen, da political correctness mit dem Klassiker scheinbar nicht kompatibel ist. Alex 5 sitzt bei Oma. Die verhinderte Kommunikation entwickelt sich durch Gedanken-Avatare öffentlich bis zur angeregten Diskussion, die nur nicht Realität wird. Alex vor der Pause scheitert am Freizeitverhalten, weil weder Kino den hohen moralischen Ansprüchen genügt, noch Netflix, Bar oder Klassentreffen. Am Buch scheitert er wegen der Mühsal der Google-Recherche. Rezepte für das gute Leben führen zu einer Apotheose aktueller Todessituationen und dem Mantra, alles richtig gemacht zu haben (was man im politischen Österreich nur zu gut kennt).
Einer bunten Börsen-Clownerie folgt der alte Dualismus zum Weiblichen als Heilige und Hure, indem sich Mutterschaft mit erotischer Attraktivität matcht. Weltuntergangs-Frust, Ängste und Gewissensnöte finden ihre Ausformulierung. Auch ein trauriges Duett wird angestimmt und absurde Weltrettungsszenarien locken. Die Frage, wo das Leben beim Überleben bleibe, sperrt sich naturgemäß gegen eine Antwort. Zur Musik klammern die einen, was aber die anderen nicht zulassen und der Berührung ausweichen.
„Was ihr da macht, macht krank“, könnte die finale Pointe sein, da sie mit der Forderung nach Stille und Ruhe einhergeht inmitten der Aufgeregtheit menschelnder Katastrophensprache. Was aber bleibt uns zum Erkenntnisgewinn sonst als sie! So kommt es unisono zur Schlusschor-Klimax aller Widrigkeiten, die wir hinlänglich wissen.
Als Coda schließt sich der Rahmen zur Zukunft von Alex als Fischmensch, Marsbewohner, Sozialrevolutionär, KI oder einfach wieder der Mensch vom Beginn, den neuen Tag wie den vorherigen beginnend wie das täglich grüßende Murmeltier. Der Bogen ist raffiniert gespannt, die Sprache hat ein vielschichtiges Gerüst mit doppelten Böden getragen, Sarah Henkers Inszenierung ist klar und deutlich, das Stück bei aller inhaltlichen Relevanz flüssig und reizvoll. Ein Spiegel ohne Anspruch auf Weltverbesserung, aber immerhin ein Spiegel. Der zeigt wenigstens auf, wo und wie wir uns erfolgreich der annähernden Erkenntnis vom Wesen der Dinge verweigern. Warmer Erfolg beim Publikum, das Witz und Humor im Spiel von humanitärer Tragik schätzen konnte.
Wie man im Leben alles richtig macht – Aufführungen bis 15. April in den Kammerspielen des Landesteheaters – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT / Tobias Witzgall