Der letzte Lehman tanzt den Twist
LANDESTHEATER / LEHMAN BROTHERS
03/02/23 Eine amerikanische Karriere muss nicht unbedingt vom Tellerwäscher zum Millionär führen. Henry Lehman fing als Tuchhändler an. Und beim Wort „Millionär“ hätten die erfolgreichen Nachfahren des jüdischen Einwanderers in wirtschaftlichen Hoch-Zeiten bloß milde gelächelt. – Lehman Brothers in den Kammerspielen des Landestheaters.
Von Reinhard Kriechbaum
Lehman Brothers steht für eine mit mächtiger Sogwirkung geplatzte Spekulationsblase. Das Unternehmen strudelte schon länger, aber 2008 standen die Zahlen auf dem Papier endgültig nicht mehr für reales Geld, sondern entlarvten sich als Chimäre. Das Ende der Lehmann-Bank ritt Börsianer sonder Zahl in den Abgrund und brachte damit die Weltwirtschaft an die Kippe.
Der italienische Theatermann und Autor Stefano Massini blickt von diesem Ende mit Schrecken eine gute Weile zurück, bis 1844. Damals machte sich ein Jude aus Bayern auf in die Neue Welt. Aus Hayum Lehmann wurde Henry Lehman, der Stammvater einer Dynastie, über die man locker eine Soap opera von Dallas-Ausdehnung schreiben könnte.
Bei Stefano Massini ist's nicht eine Seifenoper geworden, sondern ein Riesenwälzer aus gut recherchiertem Material. Und eine Theatervorlage. Dieses Riesen-Epos hat nun Claus Tröger auf die kleine Bühne der Kammerspiele gebracht, pfiffig konzentriert und auf drei Personen zurechtgestutzt. Immer noch braucht's für die Trilogie (daher zwei Pausen) satte dreieinviertel Stunden. Die sind aber mehr als spannend, man schaut garantiert nicht ein Mal auf die Uhr.
Hayum (Henry) Lehman folgten bald seine Brüder Mendel (Emmanuel) und Mayer. Nicht, dass die drei immer einer Meinung gewesen wären, aber in schwieriger, ja aussichtsloser Lage hatte immer einer den entscheidenden Riecher, die tragfähige Geschäftsidee. Das sollte sich in den nächsten Generationen wiederholen. Tuchhändler, Rohbaumwoll-Großhändler, Geschäfte im großen Stil mit Kaffee, Tabak, Erdöl. Die Lehmans brachten beim Eisenbahnbau zwischen Ost- und Westküste ihr Geld ins Spiel so wie später beim Bau des Panama-Kanals. Sogar ins Flugzeug-Geschäft stiegen sie ein. Die Lehmans hatten sogar einen Riecher und die betuchten Händchen fürs Filmgeschäft – King Kong – und für die Massenherstellung von Fernsehgeräten zu einer Zeit, da noch keiner sonst voraus ahnte, dass ein solches Ding in jedem Wohnzimmer stehen würde.
Mit schier genialem Unternehmergeist hat diese Dynastie raffinierter Geschäftsleute die Sezessionskriege ebenso überstanden wie die Wirtschaftskrise in der Zwischenkriegszeit. Natürlich klingelte auch in beiden Weltkriegen die Kassa. Dann aber wurden die Börsengeschäfte zu undurchschaubar, der Aktienhandel zu nebulos. „Immer ein Plus-Zeichen vor diesem Index, den Charles Dow und Mister Jones erfunden hatten“ – das ist lange gut gegangen, aber eben nicht unendlich lange.
Was Lehman Brothers schließlich das Genick gebrochen hat? Börsen-Blasen lassen sich schwer auf der Theaterbühne abhandeln, deshalb greift der Autor zu einem Sinnbild, dem Akrobaten Solomon Paprinskij, der dreißig Jahre auf dem Hochseil über der Häuserschlucht der Wall Street für Staunen sorgte und dann doch abstürzte, so wie Lehman Brothers. Es geht doch nicht ohne Boden unter den Füßen. Eigentlich war dieses böse Omen am 24.Oktober 1929 – „das Ende der Welt“ – der Knackpunkt auch für das Lehman-Imperium, das zusehends zum Luftgeschäft wurde. Und noch ein anschauliches Bild: Bobby Lehman, der letzte seiner Familie, „tanzt den Twist“. Und vor lauter tanzen übersieht er seinen eigenen Tod...
Über die Lehmans kann man also erzählen, erzählen, erzählen. Claus Tröger lässt Britta Bayer, Axel Meinhardt und Matthias Hermann blitzschnell von einer Rolle in die andere schlüpfen. Die drei mutieren vom Erzähler zum Handelnden und flugs wieder zurück, übergeben einander Rollen und Stichwörter in feinem Timing. Eine ziemliche Meisterleistung vom Regisseur und der Dramaturgin Friederike Bernau, dass man da als Zuseher noch die Übersicht behält und so lange bei der Stange gehalten wird.
Die Typenzeichnung trägt das Ihre bei. Wenn Axel Meinhardt einen wissenden Grinser aufsetzt, denkt man unwillkürlich an den Bösewicht J. R. Ewing aus der Fersehserie Dallas. Genau solche Typen waren wohl die jeweiligen Familienoberhäupter der Lehmans. Matthias Hermann sind eher jene Figuren zugeschanzt, die offensive Aktivität für sich gepachtet haben. Und Britta Bayer nimmt man die Business-Women jederzeit ab. Aber es gibt ja keine festen Rollenzuschreibungen, sogar zwischen Männer- und Frauenrollen lavieren die drei oft. Wenn sich mal wieder ein stinkreicher Lehman auf Brautschau begibt, kippt die Sache geradezu ins Burleske.
Ein hohes Maß an Abwechslung und Betriebsamkeit, obwohl sich das alles bloß um einen Tisch herum abspielt, mit einem Minimum an Versatzstücken. Kartonkoffer sind unverzichtbar bei einer solchen Immigranten-Story. Das bestechend simple Bühnenbild hat sich Erich Uiberlacker ausgedacht. An den seitlichen weißen Wänden werden nach und nach die Erinnerungs-Devotionalien des Wirtschaftsimperiums angeheftet. Die Hinterwand gehört schließlich den rasenden Börsen-Zahlen.
Spannender kann Wirtschaftsgeschichte nicht sein! Und sie kann sogar beachtlich großes Schauspieler-Theater anregen. Hingehen – und nicht von der Länge abschrecken lassen!
Aufführungen bis 8. April in den Kammerspielen – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Tobias Witzgall