Brutales Ritornell der Bosheiten
ARGEkultur / ZELL.ARZBERG
17/02/22 Zell-Arzberg. Was nach Express-Station klingt, ist ein rasanter Exzess in die Abgründe einer Ehe. Eine Sprechrhapsodie für ein Paar im Kriegsmodus. Ein packende Begegnung mit Werner Koflers so brillanter wie aktueller Untersuchung der Sprache des Konflikts.
Von Erhard Petzel
Zell-Arzberg ist das Gut, worin und worum gestritten wird. Familie und Herkunft dienen als Waffe zur Kränkung. Ein auf Lebenszeit gültiger Gütergemeinschafts-Vertrag geistert als Leitmotiv durch die gestörte Kommunikation. Und zu allem Überfluss gibt es einen Nebenbuhler. Während dieser mit Namen genannt wird, dient der Name Bs nur zur Demütigung durch A.
Provokant wenig Musik produziert Matija Schellander für diese Performance, obwohl sie auf langer Strecke Klangflächen-Untergründe bereithält. Aus dem Mantra eines Urklangs wieseln zwei Gestalten in orangen Schutzmänteln auf die graukahle Bühne, um sich in einem hellen Geviert zu verorten und dieses mit einem kleineren Grauteppich zu belegen: Dieses redundante Zentrum korrespondiert mit der Kargheit gestischer Reize, aus deren amorpher Disposition dauerhaft Textkaskaden trommeln. Monologe, Monologe als Chorduo, Weib A und Mann B gemischt und verwischt, mit Vorliebe für vertauschte Geschlechtsrollenzuordnung. Salzburg Premiere war am Mittwoch (16.2.) in der ARGEkultur. In dieser Koveranstaltung von klagenfurter ensemble, Robert-Musil-Institut für Literaturforschung/ Kärntner Kulturarchiv sowie ARGEkultur Salzburg wird Werner Koflers nach der Uraufführung 1982 nicht mehr gespieltes Stück wieder entdeckt.
Zunächst wird Alltagsleben vom Smartphon in Wortdauerwürsten verabreicht, das Tun, das Reden, das sich Finden und Verlieren werden zu Nominalisierungen eines trivialen Kosmos von Haben und/oder Sein. Bis zu einem Tag, an dem etwas ist. Etwas Unvorhergesehenes, das Veränderung bewirkt, ohne unbedingt besonders bemerkt zu werden, zur Katastrophe ausartet. „Das wär’s dann“ ist der Schluss eines gigantischen Mails als Vorgeschmack auf das Ende, das durch den Tod Bs gesetzt werden wird. Nach so vielen Worten reichen die Silben im Bicinium eines Gesanges, der an die Musik des Kaukasus erinnert. Das Falsett des Mannes ermöglicht es, das Vexierspiel des vorangegangenen Sprachspiels der Geschlechter auch im Gesang weiterzuführen bis zur Stimmkreuzung. Zeremonielle Bewegungen enden in der Demaskierung. Doch auch nach Abwurf der orangen Hüllen ist die schwarzblaue Kluft der beiden uniform.
Nun folgt Ehekrieg in mehreren Runden, unterlegt mit einem von Vorhalten unterteilten Celloklang. Einige der Vorwürfe strukturieren die Handlung zum Ritornell der Bosheiten, in der die Positionen der Streitparteien gut zu verfolgen sind, obwohl sie unvermittelt und jenseits jeder personellen Zuweisung wechseln. Im ausufernden Rosenkrieg sucht jede Partei, ihre Sicht durchzusetzen und die andere gründlich zu desavouieren. Der Bezug auf die Ansage des Gegners wird widerlegt und zerlegt, sodass die Widerwärtigkeit der mutwilligen Eskalation beiden alle Sympathie kostet. Das nicht direkt adressierte Publikum muss ratlos zusehen, wie Beschuldigungen unglaubwürdige Standpunkte zeitigen und keine Schnittmengen für eine objektive Einschätzung der Lage mehr ermöglichen. Man meint die vertrackte Position von Richtern in Ehesachen zu verstehen.
Der Knall zum Fall Bs beendet das Cello und macht einem Röchel-Duett Platz. Denn B hat es vielleicht wirklich mit dem Herzen. Jedenfalls verstirbt er, vielleicht wirklich von A ermordet, wie er als Geist des Autors behauptet, über den er Beschwerde führt (vielleicht ist B ja auch nur ein hypochondrischer Misanthrop). Ihr wiederum geht seine Küche ab und die Annehmlichkeiten, die sein Geist ihr zu erkennen eingebe, sodass sie an Suizid denkt und in Erinnerungen versinkt. Erst nach seinem Tod verteilen sich die Rollen in der vorgegebenen Geschlechterstruktur.
Johanna Orsini und Reini Moritz bewältigen diese Etüde im Synchronsprechen weitgehend pannenfrei, angesichts der redundanten Umgebung und pointiert gesetzten Aktionen eine beeindruckende Leistung. Franz-Xaver Mayr zeichnet für eine elementare Regie verantwortlich, Korbinian Schmidt für die karge Ausstattung, womit die Konzentration ganz auf das Textgewebe gelegt wird. Unter Zell-Arzberg oder Gütergemeinschaft produzierte der ORF eine Hörspielfassung. Das Publikum genoss die Rarität.