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Wem, wenn nicht uns, gehört unser Sterben?

SCHAUSPIELHAUS / GOTT

05/11/21 Die Frage spekuliert mit der Emotion – und das Premierenpublikum votierte folgerichtig mit beinah Zweidrittelmehrheit für die Beihilfe zum Suizid. Ein aktueller Quotenfänger: Ferdinand von Schirachs Stück Gott als Österreichische Erstaufführung im Schauspielhaus-Studio.

Von Erhard Petzel

Wenn Suizid thematisiert wird, mag Gott als Titel nahe liegen. Gott spielen dem eigenen Leben gegenüber oder – in Form von Sterbehilfe – bei dem eines anderen. Doch wie das Stück von Ferdinand von Schirach uns mitteilt, haftet dieser Assoziation etwas Altbackenes an. Der Fokus richtet sich derzeit hauptsächlich auf die Idee von Freiheit und Selbstbestimmung.

Tatsächlich gibt es nach der Pause einen theologischen Schlagabtausch. Marcus Marotte verkörpert den Bischof Thiel, also den theologischen Sachverständigen. Da darf der Charakterdarsteller dem Publikum die perfekte Identifikationsfigur mit vertrauten Kleriker-Stereotypen abliefern, sodass sich dieses an aus der Zeit gefallener Schrulligkeit hörbar vergnügen kann. Die Frage ist, ob es das für eine Erörterung des Themas wirklich braucht.

Da ist Ulrike Arp als powernde Rechtsanwältin Biegler, die einen Lebensmüden vor einer Ethik-Kommission (dem Publikum) energisch vertritt. Wesentlich ist, dass Richard Gärtner (genuin verkörpert von Harald Fröhlich) kerngesund, aber nach dem Tod seiner Frau lebensunwillig ist und das Recht auf assistierten Suizid einfordert. Warum er sich nicht einfach umbringt? Das wird damit erklärt, dass seine totkranke Frau am Spitalssterbebett gemeint habe, er solle es richtig machen. Er deutet den Auftrag so, dass sein Tod der Gesellschaft als Anlassfall für ein würdiges Suizid-Regime dienen solle. Damit wäre es ärztliche Pflicht, ihm ein sicheres Sterbemittel zu verabreichen, um die Unerträglichkeit verpfuschter Suizide zu vermeiden.

Das Hauptproblem dieses Stücks, als Österreichische Erstaufführung in der Regie von Helge Stradner jetzt zu sehen im Schauspielhaus Salzburg (Studio), besteht darin, dass dieses Ansinnen zwar argumentiert wird, in den Disputen aber die Grenzen zu Suiziden aus Krankheitsgründen immer wieder verschwimmen. Am aufschlussreichsten ist der Sachverständigen-Auftritt von der Rechtssachverständigen Litten (Daniela Enzi), die als Verfassungsrechtlerin die Unterschiede von direkter aktiver und indirekter Sterbehilfe, Behandlungsabbruch und Beihilfe zum Suizid darlegt. Da werden die aktuelle Rechtslage nach den VfGH-Urteilen von 2016 und 2020 erläutert und die bis 2022 zu fixierenden Bestimmungen bezüglich Sterbeverfügungen, Helferpersonen und Organisationen zum frei verantwortlichen Suizid umrissen. Damit erfolgt echte Aufklärung über den aktuellen Stand der Rechtssituation in Österreich.

Die Positionen sind klar abgesteckt und bestimmen den Fragenkanon an die aufgerufenen Sachverständigen durch Biegler und ihren Gegenspieler Keller (Pit-Jan Lößer), einem Mitglied des Ethikrates. Dass es dabei nicht ganz ausgewogen zugeht, mag nicht nur dramaturgischer Wirkung geschuldet sein. Entweder propagiert Ferdinand von Schirach den Standpunkt, dass allein der Mensch das Maß seiner Entscheidungen absteckt, oder er stellt dem Publikum eine tückische Falle, in die es nach einem Feuerwerk an Nebelgranaten tappt. Seine Biegler-Figur darf in genialer Rechtsanwalts-Pose ihre ideologischen Gegner zerschmettern. Wenn die Rechtsanwältin zur Bibel greift und bis zu den altehrwürdigen Kirchenvätern ausholt, geht die Welle gegen den Bischof ab. Durchaus sinnvolle Argumente seinerseits zur Sache fallen der Kommunikationsdynamik zum Opfer.

Auch die Anliegen der beiden Ärztevertreter (Marena Weller und Agnieszka Wellenger) werden zerzaust, wobei Rückgriffe auf historische Einschätzungen (Pille, Abtreibung) eher rhetorischem Populismus dienen, deren Problemfelder in ihrer Diskussionswürdigkeit aber brach liegengelassen werden. Dafür Emotion pur im Appell Gärtners nach dem vom Vorsitzenden des Ethikrates (Antony Connor) geleiteten Dialogforum. „Wem, wenn nicht uns, gehört unser Sterben“ ist der Schlusssatz. Da erreicht die Abstimmung über eine unbedingte Suizidhilfe 38 Ja-Stimmen (63%) bei 22 Nein (37%). Vielleicht ein von Manipulation aus dem Stück nicht ganz freies Ergebnis.

Denn die Frage, warum die Gesellschaft die Ansprüche eines Lebensmüden erfüllen soll, wird lediglich über den Gleichheitsgrundsatz abgeführt. Gott ist jedenfalls ein in seiner dramatischen Schlichtheit wirksames Theater mit elegantem Bühnenbild und glaubwürdigem Ensemble wird Bühne zur Abhandlung aktueller Auseinandersetzungen in der Gesellschaft. Bleibe sie wachsam.

Aufführungen bis 14.12. im Studio – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese

 

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