Flinte unterm Christbaum
LANDESTHEATER / SCHÖNE BESCHERUNGEN / IM STREAM
27/12/20 Der Seitensprungs-Versuch unterm Tannenbaum endet im Tumult. Der bewaffnete Onkel fördert auch nicht grad' den Weihnachtsfrieden. Sonst aber hat die Komödie Schöne Bescherungen viele Momente am Rande Tragödie... Das Landestheater schenkte seinen Abonnenten eine nach-feiertägliche Schauspiel-Premiere im Stream.
Von Heidemarie Klabacher
Den ganzen 26. Dezember lang war – zwischen 0 und 24 Uhr – Alan Ayckbourns Schöne Bescherungen für die Abonnentinnen und Abonnenten des Landestheater online kostenlos zugänglich. Damit fiel die virtuelle Vorpremiere zwar nach Weihnachten, trat aber auch nicht in Konkurrenz mit den wenigen lockdown-gelockerten Stunden des 24. und des 25. Dezember.
Regisseur Thomas Enzinger hat Alan Ayckbourns Klassiker Schöne Bescherungen mit ruhigem Atem in Szene gesetzt. Einzelne turbulente Protuberanzen – etwa das im Chaos unterm Weihnachtsbaum gipfelnde Spontan-Begehren zwischen Hausfrau und Gast – lodern wohl slapstikartig auf. Aber sie geben sogleich dem nächsten Lebenslamento des nächsten Familienmitglieds Raum.
Die Yuppie-Wohnung von Toto (der Bühnenbildner nennt sich wirklich so) ist ein zeitlos-zeitgeistiges Setting. Mit seinen Stufen und Absätzen eignet es sich auch gut für die Video-Aufnahme: Diese ist wohltuend ruhig geschnitten, beschränkt sich im Grunde auf Wechsel zwischen Nahaufnahme, einer mittleren Einstellung, die es erlaubt mehrere Personengruppen zugleich näher im Blick zu haben, und der Totale, die der Theaterbesucher live ja ausschließlich kennt. Im Video gibt es den Blick von hinten oben fast nur beim Szenenwechsel. Das ist unprätentiös professionell gemacht hat.
Niemand kann so herzlos sein, den armen Onkel Bernard nicht herzlichst zu bedauern. Die Nahaufnahme im Stream-Schauen hilft nach, beim Nahegehen: Christoph Wieschke spielt den Arzt von Beruf (noch kein Patient sei unter seinen Händen gestorben, versichert er), der erkennen muss, dass sein all-weihnachtliches Puppenspiel der Familie zur Qual und nicht zur Freude gereicht. Ein Theatermann, der sein Lebenswerk in Stücken sieht... Gastgeber sind Neville und Belinda, das Juppie-Ehepaar, dessen Ehe längst auf dem Erfolgsweg des Mannes verloren gegangen ist: Matthias Hermann und Larissa Enzi ersparen einander mit professioneller Liebenswürdigkeit und zielgenau abgeschossenen Giftpfeilen rein gar nichts.
Alan Ayckbourns Schöne Bescherungen sind ein Ensemble-Stück, zu dessen Gelingen im Landestheater denn auch wirklich jedes Ensemble-Mitglied seinen Beitrag leistet. Der Autor gibt jeder Figur mindestens einen Soloauftritt im Rampenlicht, den alle brillant zu nutzen wissen. Sei es Tina Eberhardt als grandios volltrunkene Phyllis oder Walter Sachers, der als Onkel Harvey sich für die Security im Familienkreis verantwortlich fühlt. Maximilian Paier und Nikola Jaritz-Rudle sind als erfolgloser Eddie und zum vierten mal schwangere Pattie weniger zynisch, aber kaum weniger unglücklich als das „Erfolgspaar“ Neville und Belinda. Sophie Mefan als Rachel pflegt lustvoll ihre sexuellen Verklemmungen und bringt die leidenschaftlichen Facetten ihres „Freundes“, des Schriftstellers erst ins Schimmern, als sie ihn ihrer Schwester Belinda vorstellt. Der Schauspieler Skye MacDonald bringt als schüchterner Autor Clive die wohl-ausbalancierte Familienaufstellung ins Wanken.
Das Landestheater plant, innerhalb der stark einschränkenden rechtlichen Vorgaben, seinen Spielbetrieb vor Publikum ab 22. Jänner wieder aufnehmen zu können - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LS / Tobias Witzgall
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