… vor allem, was noch ein Glück ist
ARGEkultur / GLÜCK
28/02/20 Ein paar absurde Szenen machen rasch klar, dass alle Protagonisten vor dem gleichen Problem stehen: Sie sitzen im Auto fest und das Wasser steigt. Glück von Kateřina Černá als Paraphrase auf das Unglück hatte in einer Co-Produktion mit dem Theater der Freien Elemente in der Regie von Gerda Gratzer Premiere im ARGEstudio.
Von Erhard Petzel
Der reale Hintergrund zum Stück findet sich im Tod mehrerer Menschen 2015 in Südfrankreich während heftiger Unwetter beim Versuch, ihre Autos aus einer Tiefgarage zu fahren. Das Surreale zeigt sich im musikalischen Sprachrhythmus, der in seiner rudimentären Abstraktheit an Beckett, im dauerhaften Wortschwall an Jelinek erinnert. Julia Leckner, Sonja Zobel, Judith Brandstätter, Wolfgang Kandler und Jurij Diez spielen lebendig stereotype Figuren in Beziehungen, die in ihrer komischen Absurdität schon wieder vertraut anmuten.
Die schräge Bühne (Alois Ellmauer) durchquert mit einer Laufsteg-Rampe die Publikumsreihen und wird mit Bodenmarkierungen als Verkehrsfläche erkennbar. Ein Rohrgestell wird später beklettert werden. Zwei Schächte öffnen sich in unterschiedlich bespielte Tiefen und werden später durch einen abbrechenden Bühnenteil zu einem Graben verbunden sein, in den die Unvorsichtigen rutschen. Das Licht (Gunther Seiser) kommt häufig aus der Tiefe und wird in seinem räumlichen Wirkungsradius zum wichtigen Bühnenelement. Dazu kommen nicht genau definierbare Hintergrund-Elemente, die wie Jalousien oder Treppen wirken, wenn sich zum Schluss die Silhouetten der (vielleicht überlebenden) Schwimmerinnen davor abheben.
Den Reigen eröffnet ein Ehepaar aus Schacht 1, keiner schafft es, das Auto zu starten. Ein junger Underdog verzweifelt an seinem Navi. Ein Schwesternpaar fährt im Kreis ohne sich zu einem rettenden Entschluss durchringen zu können. Der Underdog will sein Auto nicht verlassen, bis er die Scheibe einschlagen muss, um sich vor dem steigenden Wasser zu retten (wieso das mit der Zunge geschieht, ist nicht ganz nachvollziehbar, wenn auch ein witziger Effekt). Wie Kameraeinstellungen simultan an verschiedenen Schauplätzen wechseln die einzelnen Szenen, bis es zu Verbindungen und zur Interaktion zwischen verschiedenen Protagonisten kommt und eine Handvoll Ideen leitmotivisch durchexerziert werden.
Die Schwestern rittern um den etwas dummen Jungen, der ins Gefüge des ständigen gegenseitigen Gekeppels penetrante Zustimmung einbringt und damit das Beziehungsgefüge wandelbar macht. Beim Ehepaar kommt es zum Bruch, der zum Verlust des Partners führt. Mysteriös wird es, wenn er als Maskenmann wiederkehrt und von seiner Exfrau als Füße wärmendes Ideal entdeckt wird. Darüber hinaus gehend fungiert er als quasi moralische Instanz mit beinahe transzendenten Zügen, wenn er gegen Schluss stumme Antworten zum Glück liefert: Dieses trotz - oder gerade wegen? - seines Ablebens?
Die Handlung schlägt so schnelle Volten wie die poetisch stilisierte Sprache, sparsam werden Klänge eingespielt, einmal auf der Geige gekratzt und ein Lied gesungen. Immer wieder plustern sich Begriffe auf und geben sich als philosophische Botschaft, als die sie auf der Metaebene fast wirksam werden wie die Charaktere und Beziehungen. So schießt die ausgeflippte Ehefrau mit einer Wasserpistole auf das steigende Wasser, fordert eine Schwester Taten an der Gemeinschaft als Rettungsinstrument (indem sie nächtens das Wasser beobachtet), der Underdog feiert die Einheit mit dem Element, als er gerade noch nicht ersoffen ist, und radebrecht von Freiheit.
Glück als Frage zweier verkorkster Jugendlicher nach dem Konsum von Whiskey? Gerda Gratzer gelingt hier eine unterhaltsame und zündende Regie zu einem abgründigen Welttheater der besonderen Art.