Selbstverzehrer
THEATER IM KUNSTQUARTIER / MITWISSER
08/04/19 Etwas ist passiert, das nicht passieren sollte. Ein Wunder, Unglück, ein Fehler, nur eine Störung. Alles Wörter für das Ende. Mit ihnen legt sich Stille über die rauschenden Fragen. Worüber man nicht sprechen muss, darüber kann man schweigen. Aber jetzt nicht mehr: Die Mitwisser von Enis Maci im Kunstquartier.
Von Franz Jäger-Waldau
Über dem digitalen Wurzelwerk wächst ein Informationsgeflecht, das Ökosystem der Mitwisser. Niemand weiß alles, aber miteinander wissen sie etwas. Sie hören sich in ihrer eigenen Stimme sprechen, sie sprechen irgendwie und über sich hinaus. Die Stimmen in Enis Macis - von Mareike Mikat im Department für Schauspiel/Regie (Thomas Bernhard Institut) inszenierten - Stück Mitwisser spielen keine Rolle. Sie wechseln frei den Körper, die Richtung, den Ausdruck.
In ihrer Mitte erhebt sich ein Zeichen der Macht ohne Zeit, ein schwarzer maschineller Monolith, der an den Anfang der Erhabenheit und an deren Ende als Funktion erinnert. Nur durch ihn und seine Berührung können die anderen Körper sprechen. Durch die Schnittstellen zu seinem Inneren fallen Informationen als Ressourcen der Mitwisserschaft an die Außenwelt. Von dort an beginnt eine ausgezeichnete Choreographie. Mitwisser ist ein komplexer Text in einer komplizierten Inszenierung. Oft an der Grenze zwischen Lesbarkeit und Schreibbarkeit (Roland Barthes). Ihm zu folgen heißt, den Weg als Ziel zu verstehen. Von feinen Textsträngen gewoben, aber auch drückend aktuell und mit Theaterhumor, wobei Sätze wie „Hier gibt es keine Mall“ irgendwie Gelächter lösen, warum auch immer. Die parasitäre Schwarmintelligenz jener Mitwisser formiert sich als detailiert eingeübte Körperrhetorik des Ensembles. Und sie hat die seltene Furchtlosigkeit vor der Stille in den Redepausen und weiß lange zu schweigen, ohne die Erzählung zu brechen.
Quer darüber legt sich die teils überformte Gestik der Einzelnen, die die Stimmung des Stücks nicht erwartet. Und es heißt nicht fälschlich, neben der Gastronomie werde nirgendwo so viel geschrien wie im Thomas Bernhard Institut.
Aber ein Wort, das geschrien werden muss, verliert seine Sprache. Was nur geschrien Bedeutung hat, hat nur die Bedeutung von Geschrei. Es befiehlt, die Worte in ihren eigenen Lauten ertrinken zu lassen. Damit bemächtigt es sich der Stille der anderen, des Publikums: Die verengten Gesichter in den Reihen nehmen nichts auf. Ihre Blicke auf dem Boden sehen nichts. Das Geschrei bewegt sie nicht, es macht sie starr. Wirkungsvoll sind viel eher die leisen Stellen, die nicht überhört werden können, ohne dabei Schaden zu nehmen, ohne dadurch zu schmerzen. Mitwisser ist voll von ihnen: „Ich wittere einen Defekt, der ich bin.“ Oder: „Ich habe etwas nie Dagewesenes getan - ich habe jemanden umgebracht“. Die Darstellung durch die diplomierenden Schauspieler ist lückenlos, Menschen in der genauen Größe ihrer Passform. Am Ende verbinden sich die Mitwisser endlich mit dem Publikum und schließen damit den informierten Ouroboros.