Die möglichste aller schlechten Welten
SCHAUSPIELHAUS / JUGEND OHNE GOTT
04/10/18 „Gott ist das Schrecklichste auf der Welt“, mahnt ein betrunkener Pfarrer in Ödon von Horvaths dramatisiertem Roman Jugend ohne Gott. Ohne Gott, er scheint es schon zu ahnen, ist das Schrecklichste auf der Welt die Jugend selbst.
Von Franz Jäger-Waldau
In der dramatisierten Fassung von Horvaths Jugend ohne Gott spielt Gott selbst eine Hauptrolle, und das gerade bei jenen, die ihn nicht kennen. Besonders im Protagonisten - dem humanistischen Lehrer gespielt von Matthias Hinz - ist er von einer religiösen Größe zu einer moralischen Variablen verfallen: Niemand zweifelt an seiner Existenz, aber niemand glaubt an ihn.
Zu Beginn der nationalsozialistischen Verzückung Mitteleuropas sickert die Seuche zuallererst in die weitoffenen tiefergelegenen Täler: die Köpfe der Kinder. Die Schüler zeigen Symptome eines brutalen anti-humanistischen Denkens, das den vom Weltkrieg und dessen Nachwehen ohnehin entzauberten Lehrer in eine Sinnkrise stürzt. Die Schuld daran trifft naturgemäß nicht die jugendlichen Täter, sondern niemanden anderen als den zwar toten, aber trotzdem tatenlosen Zuschauer: Gott.
Die dadurch universell zur Unschuld verurteilten Kinder werden zu unheimlichen Marionetten einer Ideologie, die sich selbst als neuen Glauben verkündet. Die Demut, die die Kinder dem Lehrer widerwillig schulden, ist längst einer höheren Macht versprochen. Ihre Namen, die Signifikanten ihrer Individualität, haben sie zugunsten funktioneller Kürzel wie Z, N oder T abgelegt. Ihrem Klassenvorstand werfen sie heimlich vor: „Der Herr Lehrer sagt immer nur, wie es auf der Welt sein sollte, und nie, wie es wirklich ist.“ Den Vorwurf einer marxistischen Romantik weiß der Angeklagte nur umzukehren: „Wie gerne würden sie krepieren auf irgendeinem Feld! Der Name auf einem Kriegerdenkmal ist der Traum ihrer Pubertät.“
Leider wird genau das Gespenstische dieser ideologischen Wucherung in den Kinderherzen von der dramatischen Umsetzung allzu oft auf aberwitzige, aber leere Gesten de-potenziert: Obwohl von der Regisseurin Maya Franke als Jugendstück konzipiert, veranlassen etwa die - mutig von Corinna Bauer in Strapsen vorgetragenen – Gesangseinlagen kein Schülerauge dazu, vom Smartphone auch einmal abzugleiten. Der auf die reine Handlung reduzierte Roman verliert in der Dramatisierung den Sinn für die Feinheit seines moralischen Apells: eine geistige Botschaft oder zumindest eine philosophische Denkaufgabe, die den jungen Zuschauern zweifellos zuzutrauen wäre.
Dennoch ist das zwischenmenschliche Schauspiel einzelner Szenen wie der amour fou zwischen Z (Jakob Küchner) und Eva (ebenfalls Corinna Bauer) von aufrichtiger Anmut, die sogar das subtile Tastentippen und Zappeln im Zuschauerraum zögern lässt. Und nicht zuletzt muss der Inszenierung auch angerechnet werden, von allen möglichen Trends zur politischen „Aktualisierung“ der Thematik zugunsten einer neutralen texttreuen Darstellung abgesehen zu haben. Aus dieser Warte gelingt es dem Ensemble unbestreitbar, dem jungen Publikum die Zeitlosigkeit des Generationenkonflikts samt seinen Gefahren und seiner Notwendigkeit aufzuzeigen.