Gut, Becker, Böse
KAMMERSPIELE / CALIGULA
24/09/18 Albert Camus‘ Caligula lernt Ben Becker kennen. Dabei scheinen die beiden einander schon vor ihrer räumlichen Zusammenkunft im Salzburger Landestheater vertraut zu sein. Jenseits von Gut und Böse, Wahn und Sinn zeigt Beckers Rollenspiel, dass handfeste Spieltechnik nach wie vor eine Rolle spielt.
Von Franz Jäger-Waldau
„Das ist absurd, aber normal“, legt Albert Camus seinem Protagonisten rücksichtslos in den Mund. Aber Caligula, gespielt von Ben Becker, hat keine Probleme damit. Caligula ist das Problem. Dabei ist dessen einzig mögliche Lösung nichts Weiteres, als das Unmögliche: Ihm, dem Despoten, den um die Erde kreisenden Mond zu bringen. Das dauert aber zunächst noch, und in den Armen seiner allesumfassenden Freiheit sieht der römische Kaiser sich gezwungen, die Leerstelle mit sich selbst zu füllen. Er selbst wird die Unfreiheit, er wird das Schicksal seiner Untertanen, der Sinn, der aller Welt mangelt. „Den Krieg versteht ihr, und das Schicksal nicht“, muss er die Ungläubigen tadeln. Sinn hat der Kaiser nämlich für den Krieg nicht, die so Verschonten rettet der Philanthrop durch willkürliches Töten vor der Sinnlosigkeit des Lebens. Caligula macht sich damit also ganz selbstlos zur Faltkante der Umwertung aller Werte.
Die bestechende Unheimlichkeit der Rolle wird von ihrer absoluten Konsequenz verstärkt. Caligulas Handeln ist nach innen absolut geradlinig: „Ich will logisch sein“, nimmt er sich als guten Vorsatz und formuliert in diesem Sinne eine politische Abhandlung: „Man stirbt, wenn man schuldig ist. Man ist schuldig, wenn man Caligulas Untertan ist. Nun ist ja jeder Caligulas Untertan. Woraus sich ergibt, dass jeder stirbt.“ Seine lückenlose Logik ist offengelegter Wahnsinn, sein Wahnsinn aber leider logisch schlüssig. Auch der zu-spät-romantische Poet Scipio (Tim Oberließen) kann mit seinem Argument, niemand könne ohne Grund Leben, dieser Folgerung nicht widersprechen. Seine Gedichte sind ihm in mit schwarzer Farbe über den Leib geschrieben, er kann sein Innerstes, die Hoffnung auf einen letzen Sinn des Leidens, nicht vor Caligula verstecken, welcher ihm die pathetischen Verse buchstäblich von den Zügen abliest.
Die Inszenierung von John von Düffel und Marike Moiteaux reduziert das Figurenensemble auf ein notwendiges Minimum und konzentriert die Spannung auf das Verhältnis des nihilistischen Tyrannen mit seinen verzweifelnden Vertrauten. Ein notwendiger Eingriff, senkt Ben Beckers Bühnenpräsenz doch schon beim ersten Auftritt ein Raunen über die Reihen der Zuschauer. Becker nähert sich der Rolle nicht mit zynischer Ironie, sondern geradezu dionysischer Manier; in seiner Stimme klingt Caligula nicht resigniert, sondern donnert brutal in den Raum. Seine Interpretation zeigt, wie überraschend nebensächlich Text und Bühne hinter einer technisch tadellosen Schauspielkunst erscheinen können. „Du willst den Namen seiner Krankheit wissen? Dann erfinde ihn“, fordert die verzweifelnde Caesonia (Nikola Rudle) gegen Ende des Stücks. Eine angemessene Antwort könnte sicher lauten: „Ben Becker“.
Ganz im Sinne Caligulas vollbringt die Figur zuletzt noch das Unmögliche und spricht durch Becker über den eigenen Sprechtext hinaus: Noch in die Stille vor dem ersten Applaus gebietet er der Bühnentechnik grollend: „Mach das Licht an!“