#metoo im Lessing-Land
SCHAUSPIELHAUS / EMILIA GALOTTI
19/01/18 Ein typisches Stück der Aufklärung, ein literarischer Vorbote des „Sturm und Drang“? Lessing, der Aufmüpfige, dessen Moral-Fechtereien für Vernunft, gegen Adel und Kirche längst obsolet sind? Solche Debatten kann man führen um „Emilia Galotti“ … und dann kommt #metoo!
Von Reinhard Kriechbaum
Und mit #metoo steht Emilia Galotti plötzlich als Figur und als Schauspiel unversehens im Licht unserer Gegenwart. Keiner hat die junge Dame gefragt, ob sie vom Prinzen angemacht werden will (schon gar in der Kirchenbank). Ihre unmittelbar bevorstehende Eheschließung mit dem Grafen Appiani und der Umzug auf dessen Landgut ist vom Vater verordnet. Der alte Galotti allein, weiß was gut und schlecht ist, für seine Tochter und für seine Frau (die wäre durchaus anfällig für höfischen Glamour). Wer sich mit dem Prinzen einlässt, endet ja doch wie die Gräfin Orsina, als abgehalfterte Mätresse. Mit jedem Satz, mit jedem Blick kehrt der alte Galotti die moralische Überlegenheit des Bürgertums heraus.
Was die Frauen denken und fühlen ist Männern in der alten Feudal-Welt so scheißegal wie denen des neuen Bürgertums, dessen urprotestantische Moral-Sicht felsenfest abgesichert scheint. Und damit sind wir unversehens eben bei #metoo (das Lessing-Land ist in dem Fall der einstigen Zensur wegen Italien).
So aktuell wie in diesen Wochen und Monaten war Lessing jedenfalls schon lange nicht. Regisseurin Irmgard Lübke hat das goldrichtig erkannt und im Schauspielhaus Salzburg durch leichtes Raffen des Textes, durch ein wenig dramaturgisches Nachschärfen Profil gegeben. Da braucht es kein Herholen in unsere Zeit, und das Vertrauen in die Sprache ist begründet: Lessing spricht für sich und in dem Fall ganz vehement für die Frauen.
Kristina Kahlert ist eine Emilia die mit großen Augen, körperlich quasi in Dauer-Schockstarre, beobachtet, was mit ihr geschieht. Mutter Claudia Galotti (Susanne Wende) versucht's mit Ausgleich, mit ihren Harmonisierungsversuchen scheitert sie natürlich schon im Ansatz. Das Stück hält dann mit der Gräfin Orsina (Christiane Warnecke), der Ex-Gespielin des Grafen, eine Figur bereit, über deren emanzipatorische Hartnäckigkeit uns Lessing und auch die Regisseurin etwas im Unklaren lassen. Die gekränkte Frau ist gewillt, es mit den Männern aufzunehmen, sie wird zum Dämon, der das Drama so recht in Fahrt bringt. Ist das des Dichters eigentliche Identifikationsfigur – oder ist ihm dieses feministische Aufbegehren eigentlich doch zu starker Tobak?
Sehr männlich geht’s zu zwischen Prinz (Simon Jaritz) und Marinelli (Bülent Özdil). Der ist eben nicht Kammerdiener, sondern längst Kammerherr. Der Beaumarchais'sche Figaro ist gegen Lessings Marinelli ein Waisenknabe. Marinelli hat – scheinbar immer ganz im Interesse seines Dienstgebers – stets fatale Vorschläge und Handlungsstrategien parat. Die Dialoge sind messerscharf und der Graf findet sich immer argumentativ im Notstand.
Ein charismatisches Nichts an Bühne und Kostümen (Ausstattung: Andrea Kuprian) betont die Aktualität des Textes. Da stehen wirklich die Dialoge, die Schauspieler im Vordergrund. Und so „gestrig“ das alles ist – es sollte auch junge Leute heute unmittelbar anspringen. Was der alte Galotti an Emilia verübt, würde heute „Ehrenmord“ heißen. Kommt nur bei Muslimen vor, oder?