Seitenblicke statt Seelendrama?
LANDESTHEATER / LULU
20/03/17 Frisst Lulu die Männer oder wird Lulu von den Männern gefressen? Ist die Ehefrau dreier und die Geliebte zahlloser Männer nun Täterin oder Opfer? „Lulu“, sagte Karl Kraus, sei die Tragödie von der gehetzten, ewig missverstandenen Frauenanmut, die von allen zerstört wird und alles zerstört. Ja, aber wer ist schuld daran? - Carl Philip von Maldeghem präsentiert „Lulu“ in einer Hochglanzfassung.
Von Heidemarie Klabacher
Dann nimmt sie eben den Ring wieder ab, wenn der jeweilige Gatte vor Entsetzen über ihre Untreue vom Schlag getroffen wurde oder sich die Kehle durchgeschnitten hat. Der dritte Gemahl – er hat sie als Kind aus der Gosse geholt, wohl auch missbraucht, und trotz diverser Ehemänner als Geliebte behalten – will Lulu loswerden, als er sich selber bürgerlich zu verheiraten gedenkt. Lulu weiß das zu verhindern, heiratet ihn selber und erschießt ihn später. Aber versehentlich. Die ihr verfallene Gräfin steckt sich selber und Lulu mit der Cholera an, um im Gefängiskrankenhaus mit ihr die Identität zu tauschen und der Geliebten die Flucht zu ermöglichen. Doch der Abstieg ist nicht mehr aufzuhalten. Lulus Weg führt zurück in die Gosse und in die Arme ihres Mörders...
Soviel Blut, Dreck und Tränen und dabei kaum ein Fleck im strahlend weißen Ambiente: Das ist der Widerspruch, den die in allen Rollen hervorragend besetzte, sprachlich bestens vorbereitete und zügig über die Bühne des Landestheaters gehende Produktion nicht recht auflöst.
Klar, Wedekind hat ein circensisches Panoptikum geschaffen, kein Charakterdrama, Archetypen, keine Charaktere. Jedem Klischee hat der skandalumwitterte Dichter skandalöse Gestalt verliehen: dem alten Tattergreis, dem Menschenfreund mit möglicherweise kinderschänderischer Ambition, dem „Tierbändiger“, dem schwärmerischen Gymnasiasten: Sie alle, auch wenn sie die Begegnung mit Lulu unbeschadet – zumindest am Körper, wenn schon nicht an der Seele – unbeschadet überleben, sind auch nur Opfer einer Gesellschaft, gegen deren Konvention sich niemand aufzulehnen wagt(e). Die lesbische Gräfin, die einzige, die sich von Lulu ausbeuten lässt, ohne sie ihrerseits auszubeuten, ist als zweite Frauenfigur im Stück das zweite Opfer. Das Klischee von der Lesbe – für einen Mann fehlt's quasi an Material in der Hose, für eine Frau hat sie zu viel Hirn im Schädel – hat wohl auch keiner einer Gesellschaft brutaler ins Stammbuch geschrieben, als Frank Wedekind.
Im strahlend weißen Bühnenbild von Thomas Pekny werden in der Regie von Carl Philip von Maldeghem die Wedekind'schen „Typen“ quasi zu noch ein wenig klischeehafteren eindimensionalen Hochglanzfiguren stilisiert. Das hat viel Schick und Stil und ist ein eigenständiger plausibler Ansatz. Aber man scheint dann doch eher eine etwas übertriebene Beziehungs-Soap mitzuerleben, denn ein ausgewachsenes Drama. Trotz Mord und Totschlag, Lust und Leid, Dreck und Tränen bleibt alles elegant, ja steril. - Wozu die stylischen Kostüme von Conny Lüders wesentlich beitragen.
Die ausgezeichnete Nikola Rudle in der Titelrolle ist viel eher Germanys next Topmodel, denn Kindfrau oder gar femme fatale. Franziska Becker als Gräfin Geschwitz bietet die beeindruckendste schauspielerische Leistung und hat ihre stärksten Momente, solange sie noch stark ist. Danach danach muss sie sich auf die Verzweiflung beschränken. Macht sie aber auch sehr gut.
Christoph Wieschke ist ein harmloser Dr. Schön, weder Gutmensch, noch Bösewicht. Wie die meisten eben: Das ist ein plausibler Ansatz für diese Figur. Alwa, sein Sohn, wird von Gregor Schulz sehr hilflos ins Leben gesetzt. Georg Clementi verleiht dem Kunstmaler (hier Fotograf) Schwarz menschliche Tiefe. Axel Meinhardt als Medizinalrat Dr. Goll und Schigolch überrascht – nach seinem glänzenden Opernauftritt jüngst in La Bohéme – nun als Bar-Klarinettist.