asdf
 

Freier Fall ins Ungewisse

LANDESTHEATER / UNGEFÄHR GLEICH

11/11/16 „ungefähr gleich“ ist ein wackeliger Gleichheits-Grundsatz… Junge begabte Schauspielerinnen und Schauspieler, Studierende am Thomas Bernhard Institut der Universität Mozarteum, bestreiten einen Theaterabend in den Kammerspielen des Landestheaters, der nicht nur genossen werden soll.

Von Teresa Sulamith Bauer

Frei und gleich geboren, so lautet nicht nur das Spielzeitthema des Salzburger Landestheaters für die aktuelle Saison, sondern auch der erste Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Schon im Titel des Stückes von Jonas Hassan Khemiri wird dieser Grundsatz verwaschen: „ungefähr gleich“ ist wohl nicht die stabilste Basis für Gerechtigkeit.

Über den ganzen Abend spannt sich die Ungewissheit für die Protagonisten. Alles in ihren Leben ist ungefähr und es ist ihnen nicht gleich, dass es so ist.

Zu sehen ist der Fall von Andrej, der hoch hinauswollte und eine Ausbildung abgeschlossen hat. Nach zahlreichen abgelehnten Bewerbungen findet er schließlich Arbeit in einem Tabakladen – nur ungefähr das, was er als Marketing- und Verkaufsleiter machen wollte.

Eine weitere Angestellte des Tabakladens, Martina, will sich von ihrer Vergangenheit mit der Verwandtschaft und den Stimmen in ihrem Kopf lösen. Ihr Freund, Mani, ein passionierter Ökonom, möchte das System von Innen verändern, ohne zu merken, dass er mehr am Rand denn im Zentrum der Gesellschaft steht. Freja will nur ihren Job zurück, was sie hinter einer Hülle der Humanität versteckt. Die deutlichste Ungewissheit geht von Peter aus, einem Obdachlosen. Er bettelt und ist so immer wieder Spiegel der anderen, die in einer weniger offensichtlichen Ungewissheit leben.

Die Inszenierung und Bühnenbild von Marcus Lobbes veranschaulichen das Heraustreten aus dem normalen Theaterbetrieb. Man sollte etwas mit nach Hause nehmen und nicht die Armut als Kunst sehen, die wir nur auf der Bühne erleben. Das Bühnenbild, bestehend aus Papier- und Klarsichtfoliebögen, gibt im Laufe des Stücks immer mehr Verdrängtes, aus Scham Verstecktes preis: Was zuerst noch Schatten und Hintergedanke war, wird nach und nach vorgerückt. Die Protagonisten müssen sich der Ungewissheit ihres Lebens hingeben.

Wir Zuschauer werden gezwungen hinzusehen, die Ungleichheiten wahrzunehmen. Der Titel „ungefähr gleich“ ist in vielerlei Hinsicht Programm. Die Schauspielerinnen und Schauspieler treten alle ungefähr gleich oft auf, sie haben ungefähr gleiche Kostüme und sie alle sind ungefähr Martina, Peter, Freja, Andrej und Mani. Der ständige Wechsel erfordert schnelle Wandlungsfähigkeit von Marie Jensen, Florenze Schüssler, Fabian Felix Dott, Elias Füchsle, Jonas Hackmann, Alexander Prince Osei. Sie haben die Anforderungen ausdrucksstark und souverän gemeistert. Man darf sich über die gehaltvolle schauspielerische Leistung der jungen Talente freuen.

Der Abend ist nicht nur unterhaltsam und spannend nach ökonomischen Abwägungen, sondern pflanzt auch viele Gedanken, die weiterkeimen werden. Dieses Stück ist ein Heraus-Tritt für Menschen, die im Alltag wegschauen und die hübsch verpackte Version von Armut nur im Theater beschauen.

ungefähr gleich – Aufführungen in den Kammerspielen bis 22. Dezember – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Landestheater / Anna-Maria Löffelberger

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014