Mitzis fürchterliche Rache
SCHAUSPIELHAUS SALZBURG / VORHANG
26/09/16 Das Stück „Vorhang“ von dem Amerikaner Charles Marowitz nimmt die Rolle des Kritikers aufs Korn. Die österreichische Erstaufführung ist im Salzburger Schauspielhaus zu sehen.
Von Werner Thuswaldner
„Schlagt ihn tot, den Hund!
Es ist ein Rezensent.“
Diese Aufforderung zum Mord steht in den letzten Verszeilen eines Gedichts von Goethe. Sie galten einem Mann, der den „Götz von Berlichingen“ nicht besonders gelungen fand. Kritiker leben gefährlich. Das erfuhr auch Hans Weigel 1956, als ihm die Burgschauspielerin Käthe Dorsch auflauerte, um ihm zwei ordentliche Watschen zu verpassen. „Ich finde es an der Zeit, dass Sie etwas auf Ihr ungewaschenes Maul bekommen", soll sie gesagt haben.
Der Fall, den Charles Marowitz (1932-2014) in seinem Stück „Vorhang“ schildert, ist noch ein wenig krasser. Die Schauspielerin Mitzi Crenshaw ist dazu entschlossen, den Kritiker Charnick aufzuhängen. Zuerst tut sie so, als wollte sie ihn in der Theatergarderobe verführen, aber im nächsten Moment sitzt er da mit dem Strick um den Hals. Endlich kann sie ihm sämtliche Demütigungen heimzahlen, die er ihr und ihrem Mann mit niederschmetternden Rezensionen angetan hat.
Genüsslich geht der Autor dem Spannungsverhältnis zwischen Schauspielerinnen und Schauspielern einerseits und Kritikern andererseits nach. Die einen fühlen sich völlig falsch eingeschätzt, der andere opfert zumindest hie und da die Wahrheit einer guten Pointe. Mitzi gibt vor, was der Kritiker über sie geschrieben hat, zu verachten und lächerlich zu finden, kann seine Sätze aber noch nach Jahren auswendig hersagen.
Bevor es vor der Pause zum Mord kommt, taucht Mitzis Mann auf und sorgt dafür, dass die Handlung noch eine weitere halbe Stunde vorangetrieben werden kann. Das Schmierenkomödiantenpärchen geht nun gemeinsam gegen den Kritiker vor, hat aber immer wieder heftigen Streit auch untereinander. Ja, sie tun so, als gäben sie nichts auf die Kritik, spielen dem gefesselten Mann aber immer wieder szenische Ausschnitte aus diversen Stücken vor, um vielleicht doch ein wohlwollendes Urteil zu erhalten. Das Besondere an der Aufführung ist, dass das Publikum nicht sicher sein kann, was ernst und was bloß gespielt ist. Mit dieser Schwebe zu spielen, zeigt die Regisseurin Susi Weber, die sich nicht mit Spitzfindigkeiten aufhält, sondern handfestes Theater bietet, große Lust.
Mitzis Rolle verlangt sehr viel Wandlungsfähigkeit und emotionales Engagement; eine Schauspielerin kann zeigen, was sie drauf hat. Genau das tut Daniela Enzi den ganzen Abend. Riesige Textmengen sind ihr anvertraut. Beträchtliche Teile davon sind allerdings nicht unbedingt mitteilenswert, so dass – wofür Daniela Enzi nichts kann – der Eindruck von Geschwätzigkeit entsteht.
Harald Fröhlich als ihr Ehemann – die künstlerische Frisur ist beachtlich – trägt mit bewundernswerter Beweglichkeit dazu bei, die Turbulenz in der von Isabel Graf zweckmäßig eingerichteten Garderobe auf hohem Niveau zu halten. Für das Paar gilt: Es ist ja nicht einfach, Schmiere zu spielen, die beim Publikum nicht als Schmiere ankommen darf.
Der Kritiker Charnick ist der ruhende Pol, denn Antony Connor kann sich mit dem Strick um Körper und Hals nicht sonderlich viel bewegen und muss sich auf drastische Mimik beschränken. Tapfer verdrängt er die Todesangst und widersteht der Erpressung, mildere Kritikerurteile zu fällen.
Die Aufführung insgesamt verdient ein derartig mildes Urteil aber auf alle Fälle.