Sinnesrausch und Untergang
UNIVERSITÄT MOZARTEUM / CARMEN
15/06/15 Große Oper im Großen Studio. Georges Bizets „Carmen“ stellt keine geringen Anforderungen an eine Gruppe von Studierenden. Doch wieder einmal bewies die Opernschule der Universität Mozarteum, dass sie zum Opernleben Salzburgs Produktionen beisteuern kann, die jedem guten Landestheater zur höheren Ehre gereichen würden.
Von Gottfried Franz Kasparek
Leider konnte Altmeister Eike Gramss aus gesundheitlichen Gründen nicht, wie geplant, Regie führen. Nicht seine universitäre Nachfolgerin Karoline Gruber, sondern der renommierte deutsche Regisseur Alexander von Pfeil zeichnet für diese „Carmen“ verantwortlich. Und machte seine Sache dreieinhalb Akte lang gut. In der Ausstattung von Amelie Klimmeck und Lisa Nickstat, die wuchtige, verschiebbare Blöcke in den Sand einer Stierkampfarena stellten, eine taugliche Kulisse für einen archaischen Kampf der Geschlechter. Das Rotlicht, welches das Publikum im Saal empfängt, bleibt auf der Bühne ausgespart, auf der meist Zigarettenrauch für atmosphärischen Nebel sorgt.
Es dürfte sich um so genannte Theater-Zigaretten handeln, die mehr rauchen als riechen. Ein Stück, in dem eine Tabakfabrik im Zentrum steht, ist halt schwer dem herrschenden Puritanismus anzugleichen. Folgerichtig wirft Carmen nicht nur ein weißes Blümchen in Richtung Don José, sondern steckt ihm viel bedeutsamer ihre Zigarette in den Mund. Die Erotik sinnlichen Rauchgenusses ist uns fast abhanden gekommen, passt jedoch perfekt in die Zeit des Franco-Regimes in Spanien, in der das Stück diesmal angesiedelt zu sein scheint. In die Kreise machohafter Soldateska, diffuser Nachtlokale und mafiöser Banden passt sie wohl immer noch. Und genau dort spielt das Stück.
Scharf gezeichnet und durchwegs gut gesungen sind die Figuren dieses rauschhaften Lebens an der Kippe zum Untergang, die triebhaften Militärs, Banditen und leichten Mädchen. Jae Na Lee (Frasquita) und Naoko Baba (Mercédès) ergeben als „süße Kleine“ ein originelles Duo neben der hoch gewachsenen Carmen. Michael Etzel und Shan Huang sind Gentlemen-Gangster, bei Bedarf knallhart. Die Offiziere Rupert Grössinger (Morales) und besonders der die Bühne zeitweilig beherrschende Svjatoslav Besedin (Zuniga) mit kräftigem Bass taumeln trunken in den Tod.
Versucht Carmen, die verführerische „Zigeunerin“, die Arbeiterin, die „femme fatale“ mit Emanzipationswillen, diesen Kreisen zu entkommen? Sofiya Almazova spielt mit eher zurückhaltender, dunkler Erotik und feiner Sinnlichkeit, wird auch als warm timbrierte Sängerin nie derb, trifft das Chansonhafte perfekt und ist um dramatische Ausbrüche nicht verlegen.
Ist der Bauernbursch Don José, ein Außenseiter als Soldat ebenso wie später als Schmuggler, vielleicht eine Möglichkeit des Ausstiegs? Nutthaporn Thammati, bereits im internationalen Opernbusiness angelangt, ist kein fader tenoraler Schönling, sondern ein bemitleidenswerter Outlaw, aus dessen bei aller Massivität spielfreudiger Erscheinung emotionale Töne kommen, die an italienische Helden wie Mario del Monaco denken lassen, singt aber die Blumenarie in betörender Schönheit. Carmen liebt ihn wohl wirklich ein wenig in seiner tapsigen Natürlichkeit - bis der Torero, dargestellt als marionettenhafter Popanz des Showgeschäfts und wacker gesungen von Fernando Araujo, ihr eine bessere Möglichkeit bietet.
Die Regie zeigt das moralfreie Soldatenleben und das kriminelle Treiben der Menschen am Rande der Gesellschaft mit bildkräftigem Realismus. Im Prinzip sind alle Protagonisten arme Teufel, Opfer und Täter zugleich. Im ersten Finale werden die Offiziere in der Schänke nicht nur überwältigt, sondern gleich massakriert. Der Wirt, Lillas Pastias, einprägsam hager dargestellt vom Schauspieler Robert Huschenbett, wird als eine Art Engel des Todes in der Handlung weiter geführt.
Ein Engel des Lebens könnte Micaëla sein, das keusche Bauernmädchen, berührend intensiv mit hellem Sopran gesungen von Min Ji Kim, würde sie nicht plötzlich und gegen das Original im Finale mitspielen. Denn nach den von Ruth Burmann wirbelnd und farbig choreographierten Szenen des Arenaeinzugs sitzt Micaëla auf einmal mit Don José auf einer Bank. Carmen erwartet die letzte Auseinandersetzung mit einem scharfen Messer in der Hand. Eigentlich wird Don José gar nicht zum Mörder aus Eifersucht, sondern zum Sieger in einem Zweikampf. Wie weit das mit dem Text kollidiert, sei dahingestellt. Der Musik widerspricht es nicht. Als Carmen verblutet, kommt Micaëla nach vor, reinigt das Messer und flieht mit Don José, bevor jemand kommen kann. Ein halbes Happy end? Doch ist es Micaëla wirklich zuzutrauen, wie ein kalter Engel der Vernichtung ihrer Rivalin fast tatenlos zuzuschauen? Da bleiben Fragen offen.
Fragen offen lässt auch das Orchester, lobenswert in seinem Volleinsatz. Perfekt wie immer klingt der von Silvia Spinnato einstudierte Chor. Dirigent Gernot Sahler sieht „Carmen“ eindeutig als eine der Geburtsstunden des Verismo, womit er prinzipiell Recht hat. Dennoch könnten die vorhandenen Relikte einer „Opera comique“ mehr für innere Spannung sorgen. So wechselt das Dirigat zwischen zelebriertem Pathos und wilder Attacke, die in den Tänzen durchaus mitreißt und es sehr verständlich macht, dass ein Nietzsche oder Brahms das Stück als genialen Einspruch gegen Wagner empfunden haben. Mitunter bleibt aber bloß effektvolles, zu vokalem Forcieren verleitendes Knallen über, wo inneres Feuer nötig wäre. Insgesamt ein sehens-, diskutierens- und hörenswerter Abend, endend mit großem Jubel für alle Beteiligten.