Tolles Karussell der Leidenschaften
UNIVERSITÄT MOZARTEUM / FIGARO
19/06/24 Le nozze di Figaro ist an der Universität Mozarteum ohne überbordende Vermüllung und Technisierung der Bühne zu erleben. Wie erholsam! Vorhänge, verschiebbare Treppen, ein paar Sitz- und Liegegelegenheiten wie Koffer und Kisten des übersiedelnden Brautpaars genügen vollkommen, um Atmosphäre zu schaffen. Besonders erfreulich die Abwesenheit von Video-Überflutung.
Von Gottfried Franz Kasparek
Rot ist die dominierende Farbe des Abends. Rot wallen die Vorhänge, in rote Tücher hüllen sich die Figuren in den Vexierspielen der erotischen Leidenschaften. Das Grün des Gartens fehlt komplett, sieht man von ein paar Blümlein in den Händen des Gärtners einmal ab. Am Ende sinken die roten Stoffbahnen in sich zusammen und geben den Blick frei in eine vernebelte Wolkenlandschaft. Unbestimmt grau ist das Ende und es ist klar, dass trotz aller Entschuldigungen und hochgejubelter Festlaune sich nichts ändert. Das Karussell der erotischen Leidenschaften dreht sich weiter. Der Graf wird sich mit Barbarina vergnügen, die Gräfin mit Cherubino. Ob Susanna ihrem Figaro treu sein wird? Susanna, die mehr als nur diplomatisch mit dem Grafen flirtet?
Regisseur Alexander von Pfeil lässt – das nie wirklich festgeschriebene „Recht der ersten Nacht“ hin und her – keinen Zweifel daran, dass in dieser patriarchalen Gesellschaft die Frauen nicht die besseren Menschen, aber mental stärker als die Männer sind und am Ende siegen. Wolfgang Amadé Mozart und Lorenzo da Ponte haben schließlich nicht auf der Bühne moralisiert, sondern sinnliches Theater mit Geist, Witz und Gefühl gemacht. Es kann herzergreifend sein und im nächsten Moment irrwitzig komisch.
Es ist wahrlich ein toller Tag, der da in mehr als drei Stunden abläuft, im ansehnlichen Bühnenbild von Thorben Schumüller und den modernen, sehr auf Weiß mit scharfen dunklen Kontrasten konzentrierten Kostümen von Kati Stubbe. Höchste Bewunderung gilt den sportlichen Fähigkeiten des Ensembles. Dabei schaffen es die jungen Leute, auch noch sehr schön, technisch so gut wie perfekt und wortdeutlich zu singen, obwohl niemand auf der Bühne italienischer Muttersprache ist. Die Regie setzt auf körperbetonten Ausdruck, wobei das fast ständige Gewirbel und Gewurle mitunter in Regionen des handfesten Klamauks gerät. Aber wissen wir so genau, wie das anno 1786 im alten Wiener Burgtheater gewesen ist? Es war eine Zeit derber Komödiantik. Da Regisseur Alexander von Pfeil auch Inseln der Ruhe schaffen kann, besonders anrührend im Dove sono der Gräfin, wird es kein bloß rüpelhafter Spaß. Ob Figaro während der Ouvertüre viel Krach mit Mobiliar veranstalten muss, ist fraglich. Dank starker Beteiligung der Statisterie entstehen manchmal bewegte Bilder, bei deren Betrachtung man den Überblick verliert. Alles in allem aber ist dies eine mitreißende Figaro-Produktion voll praller Theaterlaune, welche die letzten Festspiel-Verirrungen komplett in den Schatten stellt.
Abstriche muss man diesmal beim Orchesterklang machen. So treffsicher Jörn Arnecke die Partitur auf zwölf, mit Ausnahme der doppelten Klarinette solistisch besetzte Instrumente übertragen hat, so sehr vermisst man in vielen Teilen des Stücks die geniale Balance zwischen leuchtendem Streicherklang und markanten Bläsersoli, die Mozart erreicht hat. Gernot Sahler am Pult einer famosen Gruppe von Studierenden macht freilich mit viel Schwung das Beste daraus und atmet liebevoll mit dem Bühnengeschehen mit. Niuniu Miao Liu, auch ein souveräner Chorleiter, sorgt für gottlob nicht allzu dominante, sondern lustvoll pointierte Rezitative am Hammerklavier.
Alle Rollen sind doppelt besetzt. In der Premiere hatte als Figaro Taesung Kim mit unglaublicher, akrobatischer Spiellaune und virilem Bariton die Bühne im Besitz, sobald er sie betrat – besser gesagt besprang. Claire Jung Eun Oh erfreute als selbstbewusste, dabei sensible und fein timbrierte Susanna, die es faustdick hinter den Ohren hat und eigentlich die Spielleiterin ist. Die hintergründige Zärtlichkeit ihrer „Rosenarie“ kann bereits verzaubern. Nikolett Mráz steigerte sich als Gräfin nach anfänglicher Nervosität zu einer großen, anrührenden Leistung. So wurde Dove sono, mit blühendem Sopran gesungen, zum emotionalen Höhepunkt. Jannik Junzhe Zeng, Graf Almaviva mit jungmännlichem Sex Appeal und echtem Kavaliersbariton und Agnes Hyunjin Kim, ein glaubwürdig heftig pubertierender Cherubino mit betörenden Mezzotönen, könnten ebenfalls sofort in jedem guten Landestheater reüssieren.
Wolodymyr Morozov ist als Bartolo ein Mann in den besten Jahren mit eindrucksvollem Charakterbass, der offenbar schon sehr jung Figaro gezeugt hat. Aber das war ja früher üblich und auch Marzelline wurde wohl als „Mädchen von 15 Jahren“ Mutter, um eine andere da Ponte-Oper zu zitieren. Génesis Beatriz López da Silva darf, sehr nuanciert und tonschön, auch ihre meist gestrichene Ziegenbock-Arie im vierten Akt singen, ebenso wie der alerte Intrigant Basilio, Wladimir Šlepec mit bestens geführtem, hellem Tenor, seine Esel-Arie. Florian Gfüllner (Antonio mit sonorem Bass, alkoholisierter Würde und Schaufel), Claire Winkelhöfer (Barbarina, springlebendig, mit gebührend mädchenhaftem Sopran) und Ilyà Dovner (Don Curzio als Gentleman-Jurist mit wendigem Spieltenor) beleben die Bühne auch oft dann, wenn sie gar nicht im Libretto stehen. Viel Jubel am Ende.
Weitere Vorstellung in der Premieren-Besetzung am Donnerstag (20.6.), in der Alternativ-Besetzung am Mittwoch (19.6.) und Freitag (21.6.) jeweils 18.30 Uhr im Max Schlereth-Saal – www.moz.ac.at
Bilder: UniMoz / Judith Buss