„Il vecchio John“ ist unsterblich
UNI MOZARTEUM / FALSTAFF
16/05/24 Giuseppe Verdis Falstaff stellt größte Anforderungen an eine Aufführung mit Studierenden. Was man jedoch bei der Premiere am Mittwoch (15.5.) im Max Schlereth-Saal der Universität Mozarteum erlebte, könnte man sofort auf die Bühne eines großen Opernhauses hieven.
Von Gottfried Franz Kasparek
Szenisch, gesanglich, auch instrumental ist diese Produktion so gut gelungen, dass sie prominenteste Aufführungen in letzter Zeit in den Schatten stellt. Die Regisseurin und neue Uni-Professorin Florentine Klepper hat mit den jungen Leuten perfekt gearbeitet. Eine tolle „Commedia“ tobt über die Bühne, in der es freilich auch Augenblicke gibt, in denen der zweite Teil von Verdis Bezeichnung seines zeitlos genialen Alterswerks, „lirica“, zutrifft. Nichts wird sinnlos dekonstruiert, aber alles spielt in der Gegenwart, denn die wohlbeleibten lüsternen „Falstaffe“ sind ja keineswegs ausgestorben und die Ehetyrannen à la Mr. Ford auch nicht. Ebenso wenig wie die frustrierten Ehefrauen, die quicklebendig intrigierenden Damen und Herren der freundschaftlichen Vermittlung, die tolpatschigen Kümmerer und auch nicht, gottlob, die hoffnungsvollen jungen Liebespaare.
Dies ist einfach großes Welttheater, geformt von Shakespeare, kongenial verknappt von Arrigo Boito, als nach wie vor aufregend kühne Vision der Opern-Moderne komponiert von Verdi. Es wird auch niemand diffamiert. So lustig Falstaff in weitem weißen T-Shirt und Jeans scheitert, so tragikomisch er im Finale gedemütigt wird, so erhobenen Hauptes geht er mit seinem geliebten Blumenstock am Ende ab, nachdem er die versammelte Spießer-Gesellschaft mit der tollen Fuge vom Spaß auf Erden belehrt hat. Und alle stimmen mit ein.
Florentine Klepper hat das Ensemble zu freudig körperbetontem Spiel animiert und sogar der mächtige Titelheld zeichnet sich durch grandiose Beweglichkeit aus. Das Ganze ereignet sich in einem grauen, aber klug beleuchteten Einheitsbühnenbild und in durchaus phantasievollen Kostümen von Romy Rexheuser. Die vielen Türen führen dazu, dass im Hintergrund quasi Monsieur Feydeau mitspielt und beweist, dass das gute alte „Türen-auf-Türen-zu-Theater“ nach wie vor seine witzigen und irrwitzigen Reize hat – so finden auch alle Szenenwechsel fließend statt. Im Finale im Wald taucht wiegend und wogend verschleierter Nachtzauber auf, am Ende sind wohl alle desillusioniert. Bis auf das Liebespaar. Nannetta darf ihrem Papa noch eine saftige Ohrfeige verabreichen und wir wollen hoffen, die Jugend verspießert nie...
Im Graben wirkt in der originalen Besetzung ein 55köpfiges Orchester, das sich voll Lust und Laune selbst übertrifft und jedem guten Landestheater zur Ehre gereichen würde. Maestro Kai Röhrig hat vollendet die diffizile Partitur erarbeitete, atmet mit der Bühne, trägt die singenden Menschen ebenso sicher durch den Abend wie die Instrumente spielenden. Und er überrascht mit seinem tiefen Verständnis für italienische „vis comica“ ebenso wie mit einer gewissen, das Stück fast mystisch durchziehenden Grandezza und erfüllt belcantesken Momenten. Wahrlich eine Meisterleistung!
Der ukrainische Bariton Sergey Korotenko erfüllt den feisten Sir John nicht nur im Spiel und in der stets natürlichen vokalen Kraft, sondern er erfühlt ihn auch mit seinem wohlig-dunklen Timbre und pointiertem Ausdruck. Seinen Monolog von der Ehre kann man unterschreiben – und es bleibt offen, ob er unter gesicherteren Umständen nicht doch Erfolg bei Alice Ford haben könnte. Die wird von Donata Meyer-Kranixfeld mit exakt der richtigen Mischung aus hausfraulicher Unterwerfung und widerborstiger Energie gezeichnet und mit elegant fokussiertem, hellem Sopran gesungen. Ihr tobender Gatte ist Jeconiah Retulla von den Philippinen, wunderbar gespielt als aufbrausender „kleiner Mann von nebenan“ und stimmlich mit einem sonoren Bariton von hoffnungsvoller Qualität gestaltet.
Julia Maria Eckes erfreut als Meg Page mit klangschönem Mezzo, die US-Amerikanerin Jesse Mashburn als fulminant agierende Mrs. Quickly mit satten und doch fein akzentuierenden „Reverenza“-Tönen. Anastasia Fedorenko komplettiert als Nannetta nicht nur bezaubernd mädchenhaft die Damenrunde, sondern sie bezaubert ganz besonders mit ihrem betörend schönen, sensibel geführten Silbersopran. Der Schwede Lucas Pellbäck, ihr jungenhafter Fenton, ist in dieser Inszenierung offenbar eine Art Hausangestellter und verfügt über einen schlanken Tenor mit lyrischem Potential. Konstantin Igl ist als Dr. Cajus ein wie immer großartiger, zappelnder Charakterkomiker mit schlagkräftigem Buffotenor. Die profunden Bass-Baritone Yonah Raupers und Dominik Schumertl als nicht besonders dienerhafte Falstaff-Kumpane Bardolfo und Pistola sind treffsicher schräge und gertenschlanke junge Männer von heute und verbringen Wunderdinge an akrobatischer Komik. Großer, verdienter Jubel!
Leider nur mehr heute Donnerstag (16.5.) um 19 Uhr und am Samstag (18.5.) um 16 Uhr zu erleben. Die Samstag-Aufführung auch im Livestream. Es gibt nur eine Alternativbesetzung (Anna-Maria Husca als Alice Ford) – www.moz.ac.at
Bilder: Universität Mozarteum / Wolf Silveri