Künstlerdrama und Psychothriller
UNI MOZARTEUM / ELEGIE FÜR JUNGE LIEBENDE
24/01/23 Ausgerechnet während der Mozartwoche findet eine Aufführungsserie von Hans Werner Henzes Oper Elegie für junge Liebende an der Universität Mozarteum statt. Ein Tipp für alle an packendem Musiktheater Interessierten: einfach einen Abend freinehmen von Mozart! Es lohnt. Wir durften schon bei der Generalprobe dabei sein.
Von Gottfried Franz Kasparek
Henzes jugendliches Meisterstück, uraufgeführt 1961 in Schwetzingen mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Hauptrolle des zynischen Dichterfürsten Gregor Mittenhofer, beruht auf einem dem verehrten Hugo von Hofmannsthal gewidmeten englischen Libretto der recht berühmten Poeten Wystan Hugh Auden und Chester Kallman. Doch schon für die Uraufführung bastelten Ludwig Landgraf (eigentlich Prinz Ludwig von Hessen), der Bühnenbildner Werner Schachteli und der Komponist selbst eine deutsche Textfassung, die heute mitunter etwas schwülstig und verstaubt wirken mag. Darauf vergisst man allerdings schnell, denn die Geschichte eines alternden egozentrischen Künstlers, der seinen Hofstaat tyrannisiert und das Leben der „jungen Liebenden“ zerstört, erstens aus Eifersucht und zweitens, um sein verstiegenes Poem vollenden zu können, trägt nach wie vor eine gewisse Zeitlosigkeit in sich. Noch dazu ist das Stück eine wilde, aber sehr gelungene Mischung aus romantischem Künstlerdrama, knallhartem Psychothriller und der alten Alpensage vom Edelweiß, das ein Liebeszeichen ist, aber oft den Tod bringt.
Henzes Musik, anno 1961 von der Darmstädter Avantgarde bestenfalls belächelt, ist heute im Gegensatz zu manch damaligem Experiment keinen Takt lang verstaubt, sondern herrlich pralle, einfallsreiche Theatermusik voll innerer Glut. Einfach große Oper, für ein diffizil eingesetztes, 25köpfiges Kammerorchester mit von sechs Leuten zu bedienender Schlagzeugbatterie, sowie für ein Ensemble auf der Bühne, welches sich in der Hauptsache singend und nicht schreiend oder krächzend mitteilt.
Jede Hauptfigur hat ein eigenes „Leitinstrument“. Die in vielen Farben schillernde Partitur ist freitonal konzipiert, was lyrische Ariosi und Gesangsnummern bis hin zum kunstvollen Sextett nicht ausschließt. Die wirre Frau Mack, die seit vierzig Jahren auf ihren am Berg verbliebenen Liebsten wartet, darf sich in seriellen Reihen ausdrücken, ein deutlicher Hinweis Henzes auf den verstiegen artifiziellen Charakter derselben – den der listige Tonsetzer freilich gleich durch größte Expressivität in Frage stellt.
Der mitatmende Dirigent Gernot Sahler bringt all dies mit seinem hoch motivierten Orchester im Graben und einem ebensolchen Vokalensemble auf der Bühne in aller gebotenen Klangschärfe und doch oft berührend zur Geltung. Und ein derart mitreißendes Opernintermezzo wie jenes vor dem Finale ist nach Alban Berg sonst bislang nicht geschrieben worden.
Alexander von Pfeil hat das Stück sozusagen mit kundiger Hand, mit Geist und Witz vom Blatt inszeniert – mit welch brillanter Klarheit der Personenführung, welch in sich stimmiger, szenischer Gestaltungskraft! Auf der Bühne herrscht eine etwas Zauberberg-artige, atmosphärisch ausgeleuchtete, aber klug minimalisierte Alpenhotel-Atmosphäre mit vielen beigen Liegestühlen, ehe nach der Katastrophe am Berg die alte Magie des roten Vorhangs für den skurrilen Schlussauftritt des Dichters eingesetzt wird, der sich am Ende für eine irreale Schneelandschaft öffnet. Auch die phantasievolle Kostümbildnerin Eva-Mareike Uhlig hat die Figuren in der von den Autoren bestimmten Zeit um 1910 belassen. Ein Konzept übrigens, welches heutzutage schon wieder aufregend modern wirkt.
Gespielt wird eine gekürzte, pausenlose, zweistündige Version, die dramaturgisch überaus schlüssig wirkt. Freilich ist es schade um den musikalisch kostbaren Liebestod des Edelweiß suchenden jungen Paars im Schneesturm am Berg, auch weil Henze, ein bekennender Liebhaber der italienischen Oper, hier sehr originell dem Finale von Alfredo Catalanis La Wally gefolgt ist.
Als Dichterfürst erinnert Jannik Junzhe Zeng mit graumelierte Perücke an Vorbilder zwischen Stefan George und Gerhart Hauptmann. Wesentlicher ist, wie glaubwürdig der junge, geschmeidig singende chinesische Bariton die brüchige, ölige Eleganz der Figur darstellt. In seinem wütenden Monolog gegen Ende zeigt er, sie gut er auch dramatisch auftrumpfen kann. Seine junge Geliebte Elisabeth wird von Nikolett Mráz mit schönem Sopran und attraktiver Erscheinung frisch gespielt. Der hell timbrierte Tenor Ilyà Dovner wirkt als der adrette junge Mann, zu dem sie überläuft, in der Tat wie direkt einer Novelle Thomas Manns, verfilmt von Luchino Visconti, entsprungen.
Sein dem Alkohol zugeneigter Vater und „Hofarzt“ des Poeten trägt ebenso feine Tracht wie die sklavisch ergebene adelige Sekretärin. Der schwarze Bass Volodymyr Morozov und die profunde Mezzosopranistin Génesis Beatriz López da Silva verkörpern diese Figuren optisch und akustisch bestens. Claire Jung Eun Oh verursacht als halbirre Hilda Mack mit ausladendem Sopran mitunter wahrlich Gänsehaut. Jakob Schett ist in der Sprechrolle des Josef Mauer ein idealtypischer Bergführer.
Premiere: 26. 1., Vorstellungen, teils alternativ besetzt, am 29. 1.(mit Livestream) und 30.1. um 19 Uhr sowie am 27.1 um 17 Uhr, Universität Mozarteum, Max Schlereth-Saal – www.moz.ac.at
Bilder: Universität Mozarteum / Judith Buss