Die Poesie unter Sägespänen
WINTERFEST / SAWDUST SYMPHONY
10/12/22 Selten mal so neugierig gewesen, wie wohl der Unterbau ausschaut. Wie mag das zugehen im Bühnen-Untergrund, wenn die silberglänzenden Nägel scharenweise aus dem Holzboden wachsen und wieder verschwinden, gar magisch synchronisiert zur Musik. Ein fein choreographiertes Ballett der (geschätzt) Dreizehnzöller.
Von Reinhard Kriechbaum
Aber spekulieren wir zuerst über die Hauptsache, über die drei jungen Männer. Was mag sich abspielen in den Seelen von Michael Zandl, David Eisele und Kolja Huneck, dass sie zu Holz-Fetischisten geworden sind? Holzkopf ist natürlich nicht gleich Holzkopf. Einer hält's mit dem Werkzeug. Mit Akkuschrauber und Drechselbank ist er so intim wie sein Kollege, der es lieber mit den Hämmern treibt. Er nagelt, wo der andere schraubt. Und der dritte im Bunde?
Der hat gar nichts mit Werkzeug am Hut, er wird sich als Leim-Zombie immer wieder heraushechten aus einem Spalt im Boden (Holzdielen, was sonst). Sein größtes Problem dürfte sein, dass der Leimgatsch nicht hält auf den Zacken eines Kreissägeblatts. Ein quasi existenzielles Problem.
Was die Welt der ultra-kreativen Individualspinner zusammenhält, ist die Liebe zu Bretteln, Ast- und Baumstammscheiben. Aus allem kann man Sitzmöbel basteln. Schrauben sind dabei hilfreicher als Nägel, und auf dem frisch Geleimten braucht man den Stabilitätstest gar nicht erst versuchen. Die Nägel sind heimtückische Wesen, führen ein Eigenleben. Sie widersetzen sich oft den Hammerschlägen, und irgendwie scheinen sie sich manchmal zu verbünden gegen die Heimwerker. Im Verein mit Licht und Musik kann man da ein Nagel-Tanztheater der besonderen Art erleben.
Charismatisches also beim Winterfest, diesmal in der Szene, auf einer Holzbühne, die für sich ein kleines Kunstwerk ist. Immer wieder gehen größere und kleinere Bodenklappen auf, durch die Hände, Köpfe und eben auch ganze Menschen auftauchen.
Wäre schön, einen Kreisel zu haben? Kein Problem, wird live gedrechselt. Auf die Idee, einen Kreisel mit der Kettensäge in Drehung zu bringen, muss man erst kommen.
Das alles ist – der Titel Sawdust Symphony lässt es ja erwarten – aufs Engste mit Musik verknüpft und steckt, dem rohen Naturmaterial und dem rabiaten Werkzeug zum Trotz, voll unsäglicher Zartheit und Poesie.
Diese Spannung macht gerade den Reiz aus. Dass ausgerechnet der maschinenbegeisterte Drechsler sich zum Derwisch wandelt und sich mit einem überdimensionalen Holzhammer auf einem langen Dreh-Tripp in Trance versetzt? Es wundert einen nicht. Mit Hämmern kann man jonglieren, eh klar. Hier sind ja Zirkuskünstler am Werk. Aber das Besondere der Sawdust Symphony sind die Poesie, die Musikalität, das Unvorhersehbare. Und ja: Selbstironie ist diesen Holz-Fanatikerrn auch nicht fremd.