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Vielleicht fehlt's an Helligkeit in der Marille

FELSENREITSCHULE / DIE ENTSTEHUNG DES LICHTS

31/10/22 Wer hat recht? Gott oder Darwin? Das werde sich zeigen, heißt es in dem ehrgeizigen Dreisparten-Projekt des Landestheaters Die Entstehung des Lichts. Der Sieg ist klar: Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung ist durch nichts und niemanden umzubringen, da ist der liebe Gott vor. Mordversuche gäb's genug an dem Abend.

Von Reinhard Kriechbaum

Evolution über Jahrmillionen oder Schöpfung vor 5.492 Jahren? So datierte jedenfalls Isaac Newton den Beginn der Welt. „Lieber einen Affen als Großvater als einen Bischof!“ Auf dieses Bonmot hin ist man knapp am spontanen Beifall vorbeigeschrammt. Aber in unserer erzkatholischen Stadt weiß das Premierenpublikum im Ernstfall, was sich (nicht) gehört.

Zuerst ist das Schauspiel dran, auf schwankender kleiner Spielfläche und auf vier Blöcken in Form einer Halfpipe. Da kann man runterrutschen und sich raufhechten. Das geschieht an dem Abend gefühlte fünfhundert Mal. An Hyperaktivität fehlt es nicht im Verlauf der beinah drei Stunden. Im ersten Teil geht’s um Charles Darwin. Um seine Seereise nach Südamerika und auf die Galapagos-Inseln. Bei den Schildkröten und anderen Natur-Eigenheiten dort hat der junge Mann, der eigentlich eine Kirchenlaufbahn einschlagen wollte, endgültig erkannt, dass sich die Tierarten über lange Zeiträume fortentwickeln, einander ausstechen. Evolution halt. Brieflich hat Darwin sich darüber rege mit seiner Cousine, Jugendgespielin und späteren Ehefrau Emma Wedgwood ausgetauscht. Die beiden waren einander menschlich nahe, aber ideologisch keineswegs auf einer Linie.

Nils Arztmann und Leyla Bischoff als Charles und Emma diskutieren und streiten herzhaft, Georg Clementi und Sarah Zaharanski schlüpfen in verschiedene Rollen und bringen die Geschichte weiter. Das ist temperamentvoll gespielt, gelegentlich mit Pointen aufgepeppt. Die Regie von Carl Philip von Maldeghem wirkt gut getimt. Inhaltlich bleibt's freilich eine nette biographische Nacherzählung, interessant und lehrreich, perfekt gemachter Schulfunk.

Dann ist Haydn dran mit seinem Oratorium Die Schöpfung, gekappt um alle Secco-Rezitative und auch sonst wesentlich eingekürzt. Es sind trotzdem viele „Schlager“ übrig, an denen gerade dieses Werk ja überreich ist. Für diesen Abschnitt hat, so scheint's, Maldeghem das Heft weitgehend aus der Hand gegeben. Der Ballettchef des Salzburger Landestheaters, Reginaldo Oliveira, darf schalten und walten nach Belieben. Seine Kompagnie ist, was Athletik und Durchhaltekraft anlangt, bewundernswert gut drauf. Was dem Choreographen an Figurenwerk einfällt, fesselt vielleicht zehn, fünfzehn Minuten lang. Dann läuft es sich ob des Dauer-Bombardements an Bewegung tot. Dem Auge wird nicht eine Sekunde Ruhe gegönnt. Die Musik wird gnadenlos zertanzt, zertreten, zerzappelt. Es fließt der Schweiß und die Gliedmaßen der Tänzerinnen und Tänzer scheinen immer länger und bizarrer in den Verrenkungen zu werden. Der Pulsschlag der Musik, ihre Stimmungen werden weitgehend ignoriert.

Erstaunlich, dass die Musiker sich trotzdem einige Lufthoheit erobern. Gabriel Venzago leitet das Mozarteumorchester zu gestenreichem, historisch informiertem Spiel an. Das hat Format. Das Solistentrio – Laura Incko, Mario Lerchenberger, Philipp Schöllhorn – wäre in einem Konzertsaal wahrscheinlich gut aufgehoben. In der Felsenreitschule, wo man sommersüber ganz andere Sängerkaliber zu hören bekommt, wirken alle drei reichlich hausbacken. Sie müssen oft mitziehen mit den rätselhaften Bewegungen der Tanzkompagnie. Was sollen uns die eigenwilligen, an Papierpuppen erinnernden Gewänder dieser Erzengel mitteilen? Vielleicht sollen Assoziationen ans Marionettentheater geweckt werden.

Nach der Pause – derweil stehen noch die Erschaffung der Tiere und des Menschen an – geht's kariert zu. Da folgt wieder ein Schauspielabschnitt, Homo Deus überschrieben. Der Mensch hat sich zu Gott gemacht. Wir sind im Heute, aber Darwin und seine Emma und die beiden anderen sind immer noch am Leben, und alle wissen, dass nun gehandelt werden müsste zugunsten der Umwelt. In einem geradezu katastrophalen Dramaturgen-Schmonzes werden die Schlagwörter der aktuellen Umwelt-Diskussion eilig durcheinander gewirbelt, hinausgeschrien. Vor allem schnell muss das gehen, es wartet ja noch einige Musik.

Adam und Eva hat man nicht das Gotteslob, dafür die peinlichsten Anti-Frauen-Aussagen im Text der Schöpfung gestrichen. Das ist ja schon was. Dafür ergießt sich übers Publikum zuletzt eine Bilderflut, die sich gewaschen hat. Eine Tänzerin als Eva verkostet den Apfel, das bekommt weder ihr noch der Zukunft der Menschheit. Schon geht es los mit Kain und Abel (zwei Kinder-Statisten). Und überhaupt gerieren sich das Ballett und der aus der Versenkung geholte Chor nun vollends durchgeknallt. Weltrettung wird mit all denen nicht gut gehen. Ganz am Schluss sehen wir ein Tänzerpaar im Vordergund. Er versucht ihr ein Kopftuch überzustülpen, sie windet sich immer aufs Neue heraus. Vielleicht war das Verkosten der Frucht vom Baum der Erkenntnis ja doch zu etwas gut.

Den Dreispartenbetrieb zusammenzuführen, ist gut gemeint, hat hier aber mangels inhaltlicher Stringenz keinen Mehrwert gebracht. Irgendwann an diesem reichlich langen Abend beginnt man auch darüber nachzudenken, warum dieses Handlungskonglomerat eigentlich Die Entstehung des Lichts heißt. Stimmt schon, es ist ein toller Moment, wenn Haydn die Sonne, diesen „wonnevollen Bräutigam“, auf Gottes Geheiß aufgehen lässt. Hat der Mensch, die Krone der Schöpfung, am Tag sechs eigentlich genug Helligkeit in der Marille mitbekommen oder war da schon alles Licht verteilt?

Aufführungen bis 4. Dezember in der Felsenreitschule – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger

 

 

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