Große Nähe ist große Gefahr
ONLINE-URAUFFÜHRUNG / TAG 47 / GORDON SAFARI
04/05/20 Momentan sind es 892 Zugriffe. Schon während der Uraufführung am 1. Mai - das war der Titel gebende Tag 47 der Corona-Beschränkungen - stiegen die Zugriffszahlen kontinuierlich. Beim zweiten Mal anhören innerhalb der ersten Stunde waren es hundertundzwei... Der analoge Opernfreak will sich nicht recht damit abfinden, dass es dieses kleine Meisterwerk von 22:56 Minuten Spielzeit auch künftig „nur“ online geben soll.
Von Heidemarie Klabacher
Was Isolation mit Menschen und Beziehungen macht, ist nicht erst, aber natürlich besonders seit Corona ein Thema in Musik und Literatur. Die erste „Corona“-Oper, jüngst entstanden innerhalb weniger Tage und online realisiert von der neu gegründeten Salzburger Kammeroper, ist ganz und gar nicht wehleidige Reaktion auf die Gegenwart. Also keine nabel-schauende Befindlichkeits-Kunst, sondern genau das Gegenteil.
Tag 47 von Gordon Safari in der Regie von Konstantin Paul und der digitalen Realisierung von Michael Hofer-Lenz ist das Musterbeispiel für einen künstlerischen Ansatz, der einen konkreten Anlass abstrahierend und zugleich bewegend umzusetzen weiß. Die Kurzoper, konzipiert ausschließlich für die online-Wiedergabe, macht Schicksale der inneren und äußeren Isolation exemplarisch greifbar.
„Und wann kommst Du wieder einmal zu mir?“ Lange Silben auf einen Ton gesungen, ein Abfall der Tonhöhe im letzten Wort. Der Sänger, der lange um den ersten Ton zu ringen hatte, wird vom großen Bild weg klein ins Eck geblendet. Videokonferenz-Modus. Nur für ein paar Sekunden – so kurz es halt dauert, ein wenig trotzig und ein wenig resigniert „Ich weiß nicht“ zu singen – kommt der andere ins Großbild, um sofort wieder der Verzweiflung des Verlassenen Raum zu geben... Ein opernhafter Schluss, der Sound ein wenig Zweite Wiener Schule, der sich sofort wieder zurückzieht auf nervöse, immer enger fallende elektronische Kaskaden.
Der Kontrast zwischen un-verfremdetem Gesang, analogem, sparsam leitmotivisch eingesetztem Cello- und Trompeten-Sound, sowie rein elektronischen Klängen ist reizvoll. Gesteigert wird der Effekt durch die Überblendungen der quasi transparenten Klangebenen. Das Gleiche gilt für die übereinander gelegten Bilder und Video-Sequenzen der drei Handlungsebenen.
Wenn die psychisch kranke Frau sich in schattenhaften Bildern verdoppelt und vervielfacht selbst begegnet, ist das von verstörendem Suspense. Die junge Frau, die sich vor ihrem gewalttätigen Partner ins Zimmer gesperrt hat, ist dagegen in ihrer konkreten ausweglosen Lage gefangen... Es singen, technisch glasklar aufgenommen, auf hervorragendem stimmlichen Niveau, Electra Lochhead, Silvia Moroder, Gian Bhogal, Johannes Hubmer und Jakob Mitterrutzner.
Der Text ist ebenso pointiert und auf den Punkt gebracht, wie die Musik und die schnörkellose szenische Umsetzung. In Erinnerung bleiben wird die über Cello-Klang in den Raum gestellte Frage: „Wie soll die alte Nähe wieder entstehen...“