Blinde Vorsicht und ihre Tücken
LANDESTHEATER / DER PROZESS / OPER
04/03/19 Kafka ist schwierig. Philip Glass Oper The Trial versucht, das Fragment Der Prozess vorsichtig auf die Bühne des Salzburger Landestheaters zu heben. Aber Kafka ist schwierig.
Von Franz Jäger-Waldau
„You’re under arrest. That’s all.“ Der Protagonist Josef K. ist frei – und verhaftet. Sein Prozess läuft ohne ihn ab. Er, der Verurteilte, spielt zwischen Beginn und Ende keine Rolle, seine Schuld ist zweifellos.
Philip Glass experimentelle Oper The Trial bestückt Kafkas Text mit musikalischen und dramatischen Gliedern. Die österreichische Erstaufführung im Salzburger Landestheater lehrt sie zu gehen – und lässt sie danach über die Bühne stolpern. Dabei liegt der Fehltritt nicht in der Unvorsichtigkeit, sondern eher in der blinden Vorsicht. Die Inszenierung von Carl Philip von Maldeghem scheut sich vor der erbarmungslosen Ehrlichkeit von Kafkas Welt: Peitschenschläge müssen hinter Wänden versteckt werden, Messer wühlen nur im Dunklen, Körper haben schwache Gesten für Liebe und für Hass, Erotik wird glattgestrichen zu einfärbiger Sexualität. Nichts spiegelt diese Angst so scharf wider, wie vielleicht das Bühnenbild von Thomas Peckny es tut: Denn es tut nichts.
Zwar schieben sich hinter dem Geschehen Wandschichten gestaffelt über den Bühnenrücken. Und ein beweglicher Block rotiert in der Mitte und unterwirft die Figuren seiner Unruhe. Aber alle Räumlichkeiten, alle Wege, alle Engen und Weiten sind verloren. Etwa das ganz in Dampf gebettete Atelier des Malers ist dem hohlen Gerichtssaal, dem dunklen Schlafloch des Advokaten gänzlich gleich. Dass darin der Maler ein Maler ist, muss er erst durch fünfminütiges Bespritzen der Wände beweisen. Und er streicht sogar Farbe auf den nackten Körper des Verhafteten und kreuzigt ihn an Handfesseln quer über die Bühne – aber nichts geschieht. Es ist ein Bühnenbild für große Bilder, nicht für ein Geschehen. Ein Abbild auch der Schwäche der Inszenierung, die nicht über das Libretto hinaus findet: Die Türhüterparabel wird in einem zehnminütigen Monolog vom endlos hin und her streifenden Kaplan rezitiert – aber wieder geschieht dabei nichts.
Im Unterschied dazu sickert Philip Glass´ Komposition subversiv und ungefiltert in die Handlung ein. Sie sägt sich mit spitzen Bassintervallen zwischen die Rezitative und hält alles in ständiger Bewegung. Die melodische Unberechenbarkeit hält die Spannung aufrecht. So wird zum Beispiel Josef K.´s äußere Regungslosigkeit als Schein entschleiert. Virtuos spielt das Mozartemorchester unter der Leitung von Robin Davis: Die Musik ist beinahe dort am lautesten, wo sie überhört wird. Auch die Kostüme von Alois Dollhäubl bereichern die Inszenierung ganz heimlich: Pastellfarbene, faltenlose Neoprenkleider geben den Figuren eine Erhabenheit, die auch Humor erlaubt. Und die Stimmen der singenden Darstellerinnen und Darsteller stehen trotz der dumpfen Akustik des Landestheaters außer Zweifel. Insgesamt schlüpfen acht Solistinnen und Solisten in 23 Rollen. Raimundas Juzuitis schält sich als Untersuchungsrichter und Advokat mit seinem engen Bass bemerkenswert vom Rest der Stimmen ab. George Humphreys singt emphatisch, allerdings spielt er Josef K. überlegen, nicht überheblich, am Ende verzweifelnd – statt zweifelnd.
Das Ende des Zweiakters erinnert leider wieder an die Ohnmacht der vorhergehenden Darstellung: Die unglaublich brutale Ermordung des Protagonisten geht im Abblenden verloren, er stirbt triumphal mit den Worten „Like a dog! Like a dog!“ – Aber eben nicht wie ein Hund, und keine Scham sollte ihn überleben.