Mehr Triebe als Liebe
UNIVERSITÄT MOZARTEUM / OPER / REIGEN
06/12/18 Arthur Schnitzlers einst so skandalöser „Reigen“ ist seit 1993 in der Vertonung von Philippe Boesmans auf vielen Bühnen unterwegs und erreicht nun endlich auch Salzburg. Wieder einmal bietet die Universität Mozarteum spannendes Musiktheater. Das Satyrspiel der Triebe wirkt noch immer, mag es auch mitunter etwas langatmig erscheinen.
Von Gottfried Franz Kasparek
Es ist schwer, die einzigartige Sprachmelodik Schnitzlers in Töne zu übersetzten. Der Belgier Boesmans hat sich mittels der geschickten Verkürzung seines Librettisten Luc Bondy wacker geschlagen. Auf Deutsch. Wienerisches mag man mitunter vermissen. Fast drei Stunden Oper ergibt sich, wenn man alle Szenen spielt und die berühmten „Stricherln“ im Text – dann, wenn es zur Sache geht – durch orchestrale Zwischenspiele füllt. Expressionismus à la Richard Strauss ist nicht die Sache des Komponisten, auch wenn er heftig aus diesem zitiert – „Man töte diese Mücke!“
Überhaupt ist die kunstvoll gedrechselte Partitur ein Fundus an Zitaten von Bach bis angeblich, was dem Rezensenten entgangen ist, sogar „Stille Nacht“. Im Grunde tonal, oft sachlich-klassizistisch, manchmal ein bisschen französisch parfümiert ist die Sache. Man denkt an Alban Berg, ohne das dessen Theaterpranke erreicht würde. Man denkt an Berio und Ravel, sogar im Wortsinn spanisch kommen einem viele Töne vor. Pointen werden effektvoll gesetzt, Gefühle, passend zum Text, nur angedeutet. Vor allem im zweiten Teil breiten sich Längen aus, wird die Musik zur bloßen, wenn auch gut gemachten Kulisse.
Die Version für Kammerorchester von Fabrizio Cassol musiziert das klangschön artikulierende, untadelige OENM unter der engagierten Leitung von Gernot Sahler. Regisseur Alexander von Pfeil setzt auf diffizile Personenführung und tut gut daran, die sexuellen Vereinigungen wie schon bei Schnitzler vorgesehen hinter einem Vorhang zu belassen. Die Kostüme von Yea Eun Hong sind kleidsam und variieren die Mode von 1900 bis in die 1920er Jahre. Das Bühnenbild von Eric Droin besteht aus einem niederen Vorhang über die ganze Bühnenbreite samt, natürlich, Spalt zum Verschwinden. Dazu kommen eine Stufe zum Sitzen, ein Zigaretten- und ein Telefonautomat, sonst kaum Requisiten. Die triebhaft gesteuerten Wesen wandeln quasi auf einem Laufsteg. Die Assoziation Straßenstrich liegt nahe. Die Beleuchtung schafft oft Atmosphäre. Wirkliche Erotik findet nur in Andeutungen statt. Und Liebe reimt sich ja in diesem „Reigen“ kaum auf Triebe.
Fast alle Rollen sind doppelt besetzt. In der Premiere am Mittwoch (5.12.) im Großen Studio war Chelsea Kolić eine stimmige Dirne, mit der man auch Mitleid haben konnte, und Gabriel Arce ein feister Soldat. Der es mit dem sehr offensiv verführerischen Stubenmädchen der Inés Rocha Constantino skrupellos weiter treibt. Kein Wunder, dass sie ihren „Jungen Herrn“ bevorzugt, der von Johannes Hubmer als Mustersöhnchen mit adrettem Spieltenor gezeichnet wird. Anne Reich als „Junge Frau“ wirkt wie eine echte Schauspielerin aus der Josefstadt, spielt berührend ihre Vereinsamung im Getriebe und singt mit schönem lyrischem Sopran. Ihr verkorkster Ehemann Konstantin Riedl steuert nicht nur Bühnenpräsenz, sondern auch erfreuliche, weiche Baritontöne bei und wechselt zum „Süßen Mädl“, dem Vera Maria Bitter entsprechende Aura und besonders prachtvolle Mezzotöne verleiht. Der erschlankte Stentortenor Nuttaporn Thammati ist ein origineller Lederjacken-Dichter, ungefähr in der Jugend eines Turrini anzusiedeln. Himani Grundström verfügt über brillant funkelnde Koloraturen und wirkt als kapriziöse, triebgesteuerte Primadonna – die Schauspielerin ist in der Oper eine Sängerin – sehr glaubwürdig. Daniel Weiler als Graf: eine Lustgreis-Karikatur mit dennoch jugendlichen Zügen. Zu Recht gab es nach der Premiere viel Applaus für alle Mitwirkenden.