Poseidon zürnt, und der heilige Blasius auch
LANDESTHEATER / IDOMENEO
05/12/16 Wenn Poseidon und Mirga Gražinytė-Tyla gemeinsame Sache machen, dann wünscht man sich schon im Vorspiel zu Mozarts „Idomeneo“ eine Reling, um sich ganz fest anhalten zu können und nicht über Bord gespült zu werden. Die Naturgewalten brausen nur so los.
Von Reinhard Kriechbaum
Das heißt aber nicht, dass in der Energie der Naturgewalten das instrumentale Filigran auf der Strecke bliebe. Mirga Gražinytė-Tyla hat auch die entfesselten Passagen so im Griff, dass sie mit Entschiedenheit See- und Herzensstürme abbremst, wenn der Kontakt zu Bühne, wenn die sängerische Kantilene das erfordert. Und die Dirigentin malt geradezu intime Seelenräume, nicht nur in dem famos im Pianissimo gefassten Quartett, in dem das oftmals wiederholte „Soffrir!“ so eindrucksvoll im Nichts zu verhauchen scheint. Kurz: Dieser „Idomeneo“ war am Premierenabend in der Hauptsache ein Erfolg fürs Mozarteumorchester, das die trockene Landestheater-Akustik völlig hat vergessen lassen und mit beeindruckender Akkuratesse sich durch die vom Meeresgott entfesselten Wogen und die Ohnmacht der Menschen führen ließ.
Am Sonntag (4.12.) hat sich unglückseligerweise nicht nur Poseidon, sondern auch der heilige Blasius (im katholischen Parnass zuständig für Halskrankheiten) dreingemischt. Getroffen hat auch das den Kreterkönig Idomeneo. Christoph Strehl jedenfalls musste sich kehlkopferkrankt mit dem Spiel und mit Mundbewegungen begnügen, während Bernhard Berchtold vom Bühnenrand aus dem Unglücklichen die Stimme spendete. Alle Achtung vor Berchtold, der vielleicht nicht das größte Volumen und dramatische Kraft für diese Partie ins Treffen führt, aber umso genauer und eindringlicher den Tort des Königs vermittelt. Der hat ja in Seenot geschworen, nach der Rettung den ersten Menschen, den er zu Gesicht bekommt, Poseidon zu opfern. Das ist, wie man weiß, sein Sohn Idamante.
Sängerisch lief es trotz Erkrankung des Titelrollenträgers also in geregelten Bahnen. Lavinia Bini (Ilia) und Sophie Rennert (Idamante) sind von der Dirigentin wie auf Händen getragen worden und haben sich in der Lyrik ebenso profiliert wie in den geforderten Koloraturen. Meredith Hoffmann-Thompson als Elettra meint es entschieden zu gut mit dem Einsatz ihrer metallen gefärbten, schneidenden Stimme. Dass Mozarts „Idomeneo“ gleich drei Soprane und drei Tenöre verlangt, ist eine Herausforderung auf Landestheater-Ebene (und nicht die einzige). Franz Supper ist ein souveräner Oberpriester, Emilio Pons ein in exponierteren Höhen nicht wirklich selbstbewusst wirkender Arbace.
Man hat erheblich gestrichen, aber auch etwas von der Ballettmusik eingebracht (immer wieder wundert man sich ja, dass Mozart den „Idomeneo“ für München als Faschingsoper komponiert hat, mit Ballett zum Neutralisieren der Tragödie). Arila Siegert, die vom Tanz herkommt, hat Regie geführt. Manch gute Idee hat sie investiert, aber das Weiterführen von Gedanken, gar das Zu-Ende-Denken, sind ihre Sache eher nicht. Gleich am Beginn singt Ilia ihre Klagearie im Orchestergraben, neben der Dirigentin stehend. Der Dialog mit Idamante geschieht übers Orchester hinweg. Sie angelt sich einen Geigenbogen, Idamante eine Flöte als Requisit. Im weiteren Verlauf gibt’s dann freilich keine Musikinstrumente mehr als Werkzeug, sondern Ruder und schärferes Gerät.
Gleich am Beginn wird der Oberpriester (zwei Akte lang als stumme, aber allgegenwärtige Rolle) als Strippenzieher und Chefintrigant eingeführt. Das geht ebenso wenig auf wie die Charakterisierung des Arbace, der sich zuerst wie Wurm in Kabale und Liebe geriert. Aber wie sollte das zu seiner loyalen „staatstragenden“ Arie im letzten Akt passen? Nett und verspielt, das Klischee der Opera seria aufbrechend, gerieren sich Ilia und Idamante, wenn sie einander in Rokoko-Perücken ihre Liebe gestehen. Da macht Idomeneo Augen! Zuvor hat er ja Ilia selbst begrapscht und muss nun alle Hoffnung auf die weibliche Kriegsbeute fahren lassen.
Dem Chor versucht die Regisseurin in guter alter DDR-Regietradition Individualität zu geben, und sie treibt's so weit, dass sie sogar Kindern eine Stimme geben will. So hat sie eine eigenartige Liturgie für Poseidon erfunden, in der heftig Ruder geschwenkt werden. Ein paar Mädchen und zwei schneidige Kerle aus dem Opernchor übernehmen einige Passagen aus der Chorszene. Mit Verlaub: Da das musikalisch eben nicht überzeugender gelingt, hätte Mirga Gražinytė-Tyla als Dirigentin solchem Unfug augenblicklich ein Ende bereiten müssen.