Verloren im Kreislauf der Liebe
TANZ-HOUSE FESTIVAL / EDITTA BRAUN
20/10/16 Die Liebe ist schon ein seltsames Spiel. Das muss auch das Pärchen feststellen, das die Editta Braun Company in LoST präsentiert. Die Performance, deren Titel LOveSTories prophetisch zusammenfasst, feierte am Mittwoch (19.10.) im Rahmen des Tanz_House Festivals ihre Österreichpremiere.
Von Christoph Pichler
Zu Vorstellungsbeginn ist von einer Liebesgeschichte allerdings noch wenig zu sehen. Mann (Dante Murillo) und Frau (Iris Heitzinger) sind vor allem mit sich selbst beschäftigt. Während er bewegungslos auf einem Packen Zeitungen sitzt und in die Leere blickt, schüttelt sie erst langsam die Vergangenheit ab, die in Form von alten Zeitungsstapeln auf ihr lastet. Während Sie namenlos bleibt, stellt sich er erst einmal dem Publikum vor. „Meine Name ist Johnny, ich bin 32 Jahre alt, 178 Zentimeter groß, habe braune Augen und Haare und mein Körpertyp ist fit“, listet er seine persönlichen Kerndaten auf. Zwar liebe er Sex, suche aber eigentlich jemanden zum Lieben, zum Tanzen und Träumen – und, naja, irgendwann halt doch auch für guten und wilden Sex.
Bevor es allerdings dazu kommt, muss erst die richtige Frau gefunden und leider auch noch irgendwie angesprochen werden. Nachdem sich Johnny mit ein paar augenzwinkernden Komplimenten fürs Publikum warmgegroovt hat, wagt er sich an die einsame Frau, die sich mitten auf der Bühne in einem Kreis aus alten Zeitungen verschanzt hat. Als Newspaper-Junkie kann er mit ihr über alles reden, über Sozialismus, Zionismus, Terrorismus, ja selbst über Feminismus und Optimismus. Und notfalls erfindet er halt irgendetwas speziell für sie. Irgendwann hat die Angebaggerte allerdings genug vom bemühten Vortrag und beendet ihn abrupt mit dem ersten Kuss.
Nun hat sich also das Pärchen endlich gefunden. Der kleine Zeitungskreis wird aufgelöst und eine neue gemeinsame Spielwiese abgesteckt. Hier können sich die frisch Verliebten hemmungslos fallenlassen und darauf vertrauen, auch stets wieder aufgefangen zu werden. Doch es dauert nicht lange, bis die ersten euphorischen Frühlingsgefühle verfliegen, Neckereien zu Sticheleien werden und schließlich in handgreiflichem Streit enden. Der gemeinsame Kreis, der zuvor noch Schutz und Sicherheit geboten hat, wird erst zur Ringkampf-Arena, dann sogar zum Gefängnis, aus dem ein Entkommen nur unter hohem persönlichen Verlust möglich scheint. Die Zeichen stehen also schlecht, doch ein Happy End ist weiterhin möglich – zumindest als allerletzte Alternative.
LoST legt die Anatomie einer klassischen Zweierbeziehung auf ebenso humorvolle wie ehrliche Weise offen. Von der ersten tollpatschigen Annäherung über die bis zur Besinnungslosigkeit hemmungslose Anfangsphase bis zu den Machtkämpfen, um persönliche Freiheiten zurückzugewinnen. Dante Murillo gibt den charmanten Eroberer, von dem sich Iris Heitzinger nur allzu gerne aus ihrer selbstgewählten Isolation locken lässt. Die gemeinsamen Tänze sprühen dabei vor lustvoller Kreativität. So winden und schmiegen sich die beiden ineinander, aneinander und umeinander und verschmelzen etwa in einer surrealen Entkleidungsszene zu einem seltsam monströsen Wesen. Explizites wird nur implizit angedeutet, umso lauter knistert die Erotik zum Soundtrack von Thierry Zaboitzeff. Der hält sich mit süffigen Melodien zurück und setzt lieber auf pulsierende Rhythmen. Und wenn dann doch einmal „Ti Amo“ aus den Boxen schnulzt, sind die Störgeräusche stets nur wenige Takte entfernt.
Zwei Personen, ein paar alte Zeitungen und ein einsam von der Decke baumelnder Kronleuchter reichen Editta Braun und ihrem Team, um eine Liebesgeschichte der besonderen Art auf die Bühne der ARGEkultur zu zaubern. Spannend und humorvoll bis zum bitteren Ende und darüber hinaus, bietet LoST ein Panoptikum der widerstreitenden Emotionen, eine Tour de Force durch den Kreislauf der Liebe, der sich wohl ewig weiterdrehen wird.