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Nicht kleckern, klotzen für Europa

REST DER WELT / ERL / FESTSPIELAUFTAKT

08/07/16 Erl verfolgt programmatisch EU-übergreifende Ziele. So präsentierte man am Donnerstag (7. 7.) zur Festival-Eröffnung im Festspielhaus vier bei jungen Russen bestellte Auftragswerke. Als tönender Gipfel danach erklang noch das ob gigantomanischen Aufwands selten gespielte Klavierkonzert Busonis.

Von Horst Reischenböck

Als Russland wegen der Krimbesetzung vor zwei Jahren international geächtet wurde, setzte Erl für seine heuer bereits 18. Saison spontan einen entsprechenden Themenschwerpunkt an (jetzt, nach der Brexit-Abstimmung, wurde übrigens für 2018 England angekündigt). So reicht das diesjährige Konzert-Umfeld von Tschaikowsky über Rachmaninow bis Prokofjew, Strawinski und Schostakowitsch. Die festliche Eröffnung hingegen präsentierte Nachwuchs, von Damen dominiert: Ihrer dreien stand ein Herr gegenüber. Erl bot ihnen dazu seine groß besetzte Orchesterakademie samt Damenchor.

Die neuen Stückewaren mehrheitlich von für Russland wohl charakteristischer Schwermut geprägt. Es stellte sich die Frage, was davon Bestand haben könnte. Nachhaltigeren Eindruck hinterließ jedenfalls das „Vater unser“ von Jan Golubkow, von ihm selbst dirigiert. Der Ex-Leiter der Wiltener Sängerknaben studiert am Tiroler Landeskonservatorium und Musikpädagogik am Salzburger Mozarteum. A capella gesungene Worte kontrastieren mit ambitionierten Instrumentaleinwürfen. Olga Bochikhinas „Musica sacra: Carnival“ wiederum, von Andreas Leisner umsichtig betreut, bot gedanklich Anknüpfungspunkte an später seitens der UdSSR verfemte Avantgarde à la Alexander Mossolov in den 1920er Jahren.

Erl steht für Großprojekte. Dazu zählen nicht nur das schon traditionelle Wochenende mit Richard Wagners „Ring“-Tetralogie, vielmehr heuer auch „Guglielmo Tell“. Ein kleiner Seitenhieb gegenüber den nicht zur EU zählenden Schweizern? Verdanken sie doch die Popularität ihres Volkshelden Schillers Schauspiel. Gioacchino Rossini hat es veropert. In gekürzter Fassung steht die Oper bereits heute, Freitag, auf dem Programm und wird von ORF 2 am 30. Juli und Ö III am 31. Juli ausgestrahlt. Eine interessante Verbindung insofern, als die italienische Fassung mit Erls Accademia di Montegral zu tun hat, nahe Lucca. Dort stemmte der Tenor der Titelrolle die gefürchtet hohen Noten seines Parts erstmals aus voller Brust. Heute üblich, für den an Falsett gewöhnten Rossini jedoch noch abwegig.

Zurück zum Eröffnungsabend: Über seinen Landsmann Ferruccio Busoni berichtet Elias Canetti in seiner Autobiografie, wie und dass er ihm während des Ersten Weltkriegs im Exil in Zürich begegnete. Diesem Pan-Europäer, Sohn eines italienischen Klarinettisten aus Empoli und einer deutschen Pianistin, verdankt die Musikweltdas Opus summum aller romantischen Klavierkonzerte in C-Dur op. 39. 1904 ist das von der zeitlichen Ausdehnung her, von den Anforderungen an die Ausführenden, vor allem aber durch finales Einbeziehen eines Fernchors singuläre Werk entstanden. Der Männerchor hinter dem Vorhang hat Worte aus dem Gedicht „Alladin“ des Dänen Öhlenschläger zu singen hat, allerdings nicht im Sinne Beethovens als gedankliche Überhöhung, sondern als mediative Kontemplation.

Fünf Sätze hat das ausufernde Werk dessen Soli nach einem „Tastentiger“ wie Carlo Grante ferlangen. Nach der umfangreichen Orchestereinstimmung in den Prolog verbiss er sich förmlich in die vollgriffigen Akkorde, mit denen Busoni Tschaikowski in den Schatten stellte. Danach nahezu ständig im Einsatz, mit Liszt'schen Kaskaden im Scherzo und, nach dem tief lotenden Pezzo serioso inmitten, auch in der ausgedehnten Tarantella an vierter Stelle, Reverenz des Komponisten an seine Heimat. Gustav Kuhn waltete am Dirigentenpult als ebenso aufmerksam wie engagiert die assistierenden Instrumentalmassen bündelnd mitgestaltender Partner. Ein rares Ereignis, entsprechend bejubelt.

Die Tiroler Festspiele Erl dauern bis 31. Juli – www.tiroler-festspiele.at
Bilder: www.carlogrante.com (1); www.tiroler-festspiele.at (2)

 

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