Jedermann im Bordell
REST DER WELT /GRAZ / IMPERIUM
12.02.2010 Jetzt spielt Peter Simonischek im Grazer Schauspielhaus so etwas wie den Jedermann: die Rolle des todkranken Nachtclubbesitzers Wessely in Götz Spielmanns Stück "Imperium".Von Reinhard Kriechbaum
"Ich habe immer gewusst, wer ich bin", sagt Wessely gern, und im gleichen Atemzug versichert er: "Sonst machen sie mit Dir, was sie wollen." Gebetsmühlenartig wird der Mann diese Sätze wiederholen. Wessely ist Nachtclub-König, Besitzer von gleich elf Etablissements. Einer also, der es zu etwas gebracht hat. Einigermaßen clean scheint die Sache gelaufen zu sein. Familie und Beruf hat er immer strikt auseinander gehalten.
Aber: Zu oft hat Wessely seine Stärke allen gegenüber versichert, ob sie es hören wollten oder nicht. Die Razzien häufen sich, die 21jährige Tochter hat eine Liaison mit seinem engsten Mitarbeiter Ronnie. Und dann die niederschmetternde Botschaft nach einer Routineuntersuchung: eine rasch voranschreitende Krankheit. Vielleicht drei Monate, maximal ein Jahr hat Wessely noch zu leben.
Zwei Mal hat es der österreichische Filmemacher zu Nominierungen für den Auslands-Oscar gebracht, mit "Die Fremde" (1999) und "Antares" (2004). Er ist ein Spezialist im geradlinigen Erzählen von eigentlich Ungereimtem. Vermeintlich eindeutige Beziehungs-Konstellationen bekommen in Götz Spielmanns Geschichten Schräglagen, münden in Katastrophen, weil einer mutig wird, sich nicht hält an Konventionen, ausbricht aus dem Erwarteten. Das ist psychologisch ohne Brimborium gezeichnet.
Auch in dem 2007 in Linz uraufgeführten Stück "Imperium" wird nicht lang gefackelt. Einer muss erkennen, dass er doch nicht immer und schon gar nicht auf Dauer Herr der Lage sein kann. Dass sich die Welt verändert: "Im Krieg, da war man auf der einen Seite oder auf der anderen, dazwischen war nichts." So einfach war das. Jetzt ist plötzlich nichts mehr einfach. Dramaturgisch löst Spielmann das mit einer Traum-Figur. Die Ordinationsgehilfin beim Arzt erinnert Wessely an Xenia, eine frühere Freundin, die sich das Leben genommen hat. Die taucht nun auf, geleitet Wessely auf seinen letzten Wegen und insistiert auf Einsicht. Sie sagt so gescheite Sachen wie "Du bist nichts, wenn Du nicht Teil von einem großen Ganzen bist."
Bösartig könnte man sagen: Es fehlt in diesem Theatertext keine Plattheit. Positiver formuliert: Götz Spielmanns Figuren ticken einfach. Von solchen Leuten leben Boulevardzeitungen und Demagogen. Es berührt fast peinlich, so schlichte Typen auf der Bühne zu sehen.
Für Wessely geht es jetzt darum, seine Begrenztheit, seine Endlichkeit vor sich selbst einzugestehen. Am Ende wird er im weißen Krankenhaus da sitzen wie Jedermann im Büßerhemd, und Xenia wird sein Herz im Wortsinn an-rühren. Fehlt nur noch der Auftritt von "Glauben" und "Guten Werken" …
Da hat es Witz, wenn der Autor als sein eigener Regisseur im Grazer Schauspielhaus ausgerechnet Peter Simonischek einsetzt: Jedermann als Bordell-Kaiser. Simonischek hat die nötige Bühnenpräsenz, um über viele Seichtheiten hinweg zu tragen. Den vierschrötigen Kerl, der die längste Zeit in sich geruht hat und sich nicht so leicht verunsichern lässt, nimmt man ihm jederzeit ab. Gefühle überkommen diesen Typen nur sporadisch. Er klinkt nie aus. Dieser Jedermann-Wessely verdient unsere Sympathie.
In Simonischeks Sog und in der präzisen Regie von Götz Spielmann kommt es zu einer bemerkenswert schlüssigen Ensembleleistung: So eindimensional eine jede der Figuren auch sein mag, der jeweilige Typ passt. Andrea Wenzl als die junge Palucca, Steffi Krautz als Anita, Wesselys Freundin im Rotlichtmilieu sind deutlich mehr als Stichwortbringer. Eine Stärke der Inszenierung ist, dass sie Lokalkolorit eigentlich nur zart andeutet. Wessely könnte auch Manager in einem Konzern sein. Claudia Martini spielt Wesselys Ehefrau Lydia – keine Beziehung zwischen den beiden, wenig Worte. Auch Ronnie (Gustav Koenigs) hat nicht viel zu sagen. Verena Lercher ist Xenia, kathartische Traum-Figur im leicht altmodischen weißen Plisséerock.
Götz Spielmann macht als Regisseur viel wieder gut macht, was ihm als Plot-Autor nicht so geglückt ist. Für die schlackenlos erzählte Geschichte hat Martin Warth ein simples wie effektvolles Bühnenbild gebaut: Schiebewände um ein Halbrund, unterschiedliche Beleuchtungskörper, Tische und andere Versatzstücke werden von unten herauf gefahren. Da sind ultra-rasche Szenenwechsel möglich, alles geht rasch zu ein paar Takten Musik. Als Filmemacher hat Götz Spielmann ein untrügliches Gefühl dafür, wann eine jede Szene einen Schnitt braucht.