asdf
 

Ideologie und ihre Kleider-Hüllen

REST DER WELT / GRAZ / HAMLET

22/10/10 "Die Zeit ist verreckt. Schlimmes Schicksal, dass ich geboren wurde, sie wieder einzurenken!" - Er könnte heutzutage herumrennen, dieser Hamlet, der die Pubertät noch nicht ganz abgelegt hat.- Theu Boermans inszenierte Shakespeares Stück in Graz und zeigt uns die Hauptfigur als einen jungen Orientierungs-Sucher von heute.

Von Reinhard Kriechbaum

Er glaubt wohl, dass die Haut des Aufmüpfigen, die er sich so gern überzieht, eine gute Tarnung ist - aber Haut ist eben etwas Durchscheinendes. Deshalb erkennt man in jedem seiner Sätze, in jeder seiner Gesten, dass dieser junge, feingliedrige Mann viel eher darauf aus wäre, in der Elterngeneration Vorbilder zu erkennen, Verhaltensmodelle abzuschauen.

Aber da ist nichts, das sich abzukupfern lohnte. Die Altvorderen sind lauter Typen, denen man lieber nicht die Hand geben möchte: Claudius (Stiefvater und Mörder von Hamlets Vater) ist ein Politiker, der wahrscheinlich alles immer richtig macht, weil er seine Sache dem Volk und seinen Höflingen aalglatt argumentierend verkauft. Gertrud, Hamlets Mutter (jetzt Claudius' Frau), hat offenbar Schwierigkeiten mit dem Älterwerden. Sie ist ein rechtes Püppchen. Polonius, der Minister (und Vater von Hamlets Geliebter Orphelia), ist ein wortgewandter Schwätzer mit Besserwisser-Miene. Sie alle tragen perfekte Maßanzüge und sind umgeben von Bodyguards, die ihrerseits modemäßig was darstellen.

Die tendenziell freche Textübertragung (Marius von Mayenburg) verstärkt, obwohl sie sich nicht weit vom Original entfernt, den Eindruck, dass wir nicht im faulenden Staate Dänemark alter Tage, sondern ganz im Heute sind. Das Gespür für Verhaltensnormen ist schon der Elterngeneration abhanden gekommen, und ein Junger wie Hamlet irrt vorbilderlos im ideologischen Nirvana umher. Ein Wunder, dass er Hamlets Geist (Stimme aus dem Zuschauerraum-Hintergrund) zugleich Glauben schenkt und ihr misstraut? So aktuell also ist Hamlet, und so stylish bringt ihn der NiederländerTheu Boermans im Grazer Schauspielhaus auf die vorerst ganz leer geräumte Bühne.

Szene um Szene fallen Unmengen unterschiedlichste Kleidungsstücke malerisch vom Schnürboden herab. Eine Hose hat ganz andere Flugeigenschaften als eine Schürze, eine Strumpfhose fliegt anders als ein Sakko. Das gibt optisch was her. Bald waten die Protagonisten im Gewand-Plunder, den man auch als abgelegte Selbst-Bilder lesen könnte: Kleider machen bekanntlich Leute …

Die Aufführung lebt von präzise gezeichneten Charakteren. Claudius Körber ist dieser Leitlinien suchende junge Mann, der so sympathisch wirkt, dass man ihn am liebsten an der Hand nehmen und den rechten Weg entlang führen wollte. Pikant, dass sein alter Compagnon Horatio (Leon Ullrich) wie ein Spät-Achtundsechziger hergerichtet ist. Damals wussten Studenten noch, wo es lang geht! Der hitzköpfige Laertes (Rahul Chakraborty), die wohl von Eliteuniversitäten kommenden Rosenkranz und Güldenstern (Gustav Koenigs, Alexander Knaipp): anschauliche Spielarten heutiger Twenties.

Auch nicht von schlechten Eltern Stefan Suske als Claudius, der gewiss von vielen gewählt würde, wenn man seinen Namen ankreuzen müsste. Franz Xaver Zach als besserwisserisxch-schwätzender Polonius hat die Lacher oft auf seiner Seite. Ein wenig zu viel des Guten macht Ophelia (Claire Vivianne Sobottke), sie lebt Frust und Wahnsinn recht handfest aus. Die gespreizt staksende Gertrud (Birgit Stöger) muss wohl erst bei einem Personal Stylist vorsprechen, um in die Gruppe der soignierten Falschmünzer zu passen.

Spannend also, dieser neue Grazer Hamlet, den man auch wegen Mayenburgs Übersetzung mit Interesse wahrnimmt. Sein oder Nichtsein? Manches geflügelte Wort kommt ganz fremdartig daher: "Am dänischen Staat ist irgendwas verfault." Und eben nicht nur dort.

Aufführungen bis 19. Dezember im Grazer Schauspielhaus. - www.buehnen-graz.com
Bilder: Bühnen Graz / Peter Manninger

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014