Geld für die Hunde im Hinterhof
BURGTHEATER / QUAI WEST
10.02.2010 "Die Zukunft ist das Business", sagt Charles, der das Leben als Outlaw in den aufgelassenen Hallen eines Werftviertels mehr als über hat. – Andrea Breth hat "Quai West" von Bernard-Marie Koltès im Burgtheater inszeniert.Von Reinhard Kriechbaum
Ausgerechnet hier und ausgerechnet jetzt träumt Charles vom "Business" – und ausgerechnet im Angesicht des jämmerlichen Maurice: Der Ehrenmann hat Geld veruntreut und wollte ins Wasser gehen. Ist nicht gelungen, einer der Underdogs hier hat ihn wieder herausgezogen. Jetzt humpelt Maurice mit gebrochenem Knöchel herum, ist genau so gefangen in den dunklen Hallen wie die anderen. Hier gibt es keine sozialen Unterschiede mehr, und auch kein Fortkommen in eine bessere Welt, die irgendwo da draußen doch wohl existieren muss.
"Quai West" ist das Stück der Zeit, wie der Schwarzmaler Bernard-Marie Koltès eben einer der Autoren der Zeit ist. "Es ist alles Humbug … Geld gibt es nicht, es gibt Geschäfte": Schon in einer der ersten Szenen hat Maurice über die Unterschiede zwischen Kreditkarten und Geld räsoniert, und jetzt spricht er es aus: "Geld - das sind die Überreste, die man den Hunden im Hinterhof vorwirft."
Pointierten Brecht könnte man aus dem Plot machen. Es wäre ein Leichtes, "Quai West" handsam zurecht zu schneiden auf diesen Wirtschafts-Aspekt. Das tut Andrea Breth natürlich nicht. Sie nimmt den ganzen Koltès ernst, seinen Kosmos, der in den Immigrantenvierteln vor allem ausgeprägt worden ist. Da stoßen Kriminalität und ethnische Tradition aufeinander: Muss man "einen Sohn gezeugt" oder "zwei Menschen umgebracht" haben?
Bei Breth sind und bleiben die Figuren also jene grandiosen (und komplexen) Philosophierer, als die der französische Autor sie angelegt hat. Und das Burgtheater hat nicht nur die Typen dafür, sondern auch die Sprecher. Sie sind von der Regisseurin eingeschworen auf Hochsprache. Wie sie monologisierend abheben, hebt sie ab von allzu bequemer Verortung: Wie angenehm, könnten wir uns nur drauf verlassen, dass "Quai West" irgendwo ein Revier in New York oder ein Banlieue in Paris meint. Doch "Quai West" könnte genau so gut in der Wohnung des Nachbarn im Wohnblock liegen. Das schafft Gänsehaut, auch wenn uns Koltès einige Male auflachen lässt über die Bizarrerie von Weltsichten und Formulierungen.
Messerscharf analysierte, präzise durchgezeichnete Figuren sind das: Sven-Eric Bechtolf ist Maurice, der es zu bunt getrieben hat als ehrenhafter Vermögensverwalter. Gallig macht er sich jetzt über sich selbst her, über das System, das einen wie ihn hat vertrauenswürdig erscheinen lassen. Und weinerlich vor Selbstmitleid ist er ebenso.
Charles’ Mutter Cécile blättert umfassend ihr Ich auf - eine Bravourrolle für Elisabeth Orth. Hoffnungslos gelebte Männlichkeit: Hans-Michael Rehberg ist der alte Rodolfe, der nicht mehr hören, nicht mehr denken und schon gar nicht mehr handeln will. Philipp Hauß als Charles und Nicholas Ofczarek als dessen Freund Fak leben Machogehabe oder Alert-Sein auf Biegen und Brechen. Mit besonderer Liebe hat Andrea Breth die Figur der blutjungen Claire (Merle Wasmuth) entwickelt, und Andrea Clausen ist als Monique eine rätselhafte Figur.
Die Finsternis, von der alle immer reden - die hat Erich Wonder ganz real umgesetzt: eine unebene, rabenschwarze Bühnen-"Landschaft" mit Abgründen und Stolpersteinen. Dahinter zwei Ebenen von Glasfronten. Oft agieren die Figuren wie Scherenschnitte. Blackouts, jeweils verbunden mit einer Sound-Installation, die an eine Explosion gemahnt, gliedern die Monolog-Episoden einer 2010, genau ein Vierteljahrhundert nach Entstehen des Stücks, allzu realen, Angst machenden Nacht.