Ein neuer Clown ist schnell gefunden
GRAZ / DAS ENDE VOM LIED
08/05/23 Nach acht Jahren Intendanz am Grazer Schauspielhaus lässt Iris Laufenberg den Musiker Sandy Lopičić und ihre Schauspielergruppe über den Abschied reflektieren. Das Ende vom Lied ist ein Ab- und Lobgesang aufs Ensemble. Andrea Vilter ist ab Herbst Intendantin.
Von Reinhard Kriechbaum
Es muss nicht gleich ein Grabgesang sein, und von Grabesstimmung schon gar keine Rede. Aber vor dem Aufbruch, zu welchen Ufern auch immer, muss man erst einpacken. Und da kommt's schon vor, dass man angesichts des einen oder anderen Dings mal auspackt, bei aller angesagter Betriebsamkeit räsonierend einhält. „Küchenzeug“ steht auf einem Umzugskarton, „Silber-Kram“ auf einem anderen. Und, ach ja, „Foto-Alben“. Ein pavillonartiges Rondeau sieht aus, als ob einem Gartenhaus das Dach davon geflogen wäre. Dort also wird Das Ende vom Lied angestimmt. Mit einem guten, aber gut verkraftbaren Schuss an Melancholie.
„Den Wurstl kann keiner derschlagen“, heißt es im Wienerlied, das den Neuanfang (nach dem Krieg) besingt. Aber das wäre nicht die musikalische Linie von Sandy Lopičić, der eher vom Balkansound herkommt und für diesen stil-offenen szenischen Liederabend für jede und jeden im Ensemble zumindest eine passende Nummer gefunden hat. Freddie Mercurys The Show Must Go On darf nicht fehlen, aber auch nicht das ein bisserl larmoyante Our House. Ein anregender Musik-Mix mit kleinen Spielszenen auf Texte von Hannah Zufall, die den Charakteren jeweils auf den Leib geschneidert wirken.
Warum gerade ein solches Pasticcio am Ende? Iris Laufenberg wechselt ans Deutsche Theater Berlin. Als sie im Herbst 2015 in Graz als Intendantin angetreten ist, hat sie ein fast vollständig runderneuertes Ensemble mitgebracht. Die Eröffnungspremiere galt damals Dankred Dorsts Merlin, Jan-Christoph Gockel hat Regie geführt. Die Ensemblebildung dieser Truppe war aufschlussreich zu beobachten. Gerade in überschaubar kleinen Ensembles an städtischen Theatern passiert es so selten nicht, dass man sich bald satt sieht an den Typen. Das war hier anders. Da hat eine Crew gut zusammenwachsen und Präzision entwickeln dürfen, und zugleich sind Einzelne immer wieder besonders gefordert worden. Iris Laufenberg hat nämlich auch auf Regie-Seite für kontinuierliche Verpflichtungen gesorgt, so dass die jeweiligen Theaterleute das Ensemble und die Optionen einzelner Darsteller gut einschätzen und für sich nutzbar machen konnten. Jan-Christoph Gockel zum Beispiel war mehrmals da, ein anderes Beispiel war die Zusammenarbeit mit dem ungarischen Regisseur András Dömötör. In den letzten Jahren wurde Anita Vulesica beinah zur „Hausregisseurin“. Sie hat Thomas Köcks dritte republik (eine vermessung) und Garland von Svenja Viola Bungarten inszeniert, in dieser Spielzeit Die kahle Sängerin von Ionesco. Nicht von ungefähr waren Inszenierungen aus Graz immer heiße Kandidaten für die österreichischen Nestroy-Preise.
Die gut vernetzte Iris Laufenberg war gerne auf Einkauf in Mühlheim und beim Heidelberger Stückemarkt, hat aber auch im österreichischen Autoren-Supermarkt in die Regale gegriffen, zu Thomas Köck und Ferdinand Schmalz (schlammland gewalt, Thermaler Widerstand). Am allgegenwärtigen Nikolaus Habjan und seinen Puppen führte sowieso kein Weg vorbei, seine Produktion Böhm wurde viel beachtet – nicht nur in der Geburtsstadt des Dirigenten, der sich nicht recht distanzieren wollte von den Nazis.
Viele dieser Aufführungen spiegelten die außerordentliche Einsatzbereitschaft des Ensembles. Wenn dieses also jetzt als finale Produktion der Intendanz Das Ende vom Lied anstimmen darf, ist das nicht zuletzt eine Dankbezeugung der Intendantin. Sandy Lopičić ist auch einer, der immer wieder präsent war, als Bühnenmusiker, aber auch als Regisseur. Iris Laufenberg hat eben nicht nur Leute „importiert“, Lopičić war schon zwei Jahrzehnte vor ihr da. Und im Grazer Ensemble fanden auch Lokalmatadore wie der charismatische Franz Solar oder der immer witzige Rudi Widerhofer Platz, der jetzt als lokale Drag-Queen im Lieder-Medley einen markanten Platz einnimmt.
Unbedingt zu nennen: Gerhard Balluch, einer der Doyens seines Fachs in Österreich, ist ja immer noch präsent in dem Haus, dem er seit Menschengedenken angehört. Plötzlich steht er jetzt da, in Sandy Lopičić' drehbühnenbewegten Liederreigen, und mahnt mit Donnerstimme: „Nicht diese dahingeklatschte Flüchtigkeit!“ Zwischen Weggeh-Lamento und Aufbruchs Euphorie der so viel Jüngeren mahnt er Trauerarbeit ein und rezitiert Mit silbergrauem Dufte Hofmannsthal. Und er sagt sinnierend: „Ich möchte wieder reden wie damals.“ Hat ihm das die Textautorin oder Gerhard Balluch es sich selbst in den Mund gelegt? Ein Schelm, der leise Kritik am heutigen Theater heraushörte.
So etwas hat in der finalen Revue jedenfalls genau so Platz wie ein Lied ans Leben, dem man mit Susanne Konstanze Weber gerne in ein neues solches folgen wollte. Am liebsten mit Balkan-Sound à la odlazi cirkus. Der Zirkus geht, aber dann heißt es trostreich: „Ein neuer Clown ist sehr schnell gefunden.“ Im Herbst übernimmt Andrea Vilter (die auch einige Jahre am Thomas Bernhard Institut der Universität Mozarteum unterrichtet hat) in Graz die Intendanz.
Aufführungen bis 10. Juni – schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lex Karelly