Nur eine Weiße mit brauner Haut?
GRAZ / IDENTITTI REZEPTIONISTA
22/03/23 Nicht mehr Identitti, sondern Identitti Rezeptionista. Also nicht mehr die Umsetzung des Erfolgsromans Mithu Sanyal, sondern – nur zwei Jahre nach dessen Erscheinen – schon im Titel angesprochen auch die Frage danach, wie dieser bestseller aufgenommen wurde und wird.
Von Reinhard Kriechbaum
Saraswati, die von ihren farbigen Studentinnen so sehr verehrte Post-colonial-Studies-Professorin und Rassismus-Bekämpferin, ist als Blackfacerin aufgeflogen. Die vermeintliche Inderin war einst eine weiße Sara Vera Thielemann! Das gibt Stunk. Alle Achtung vor der Romanfigur Nivedita. Denn anders, als man nicht nur von dieser Generation erwartet, vergräbt sich die Studentin und jetzt Wortführerin des unweigerlich angesagten Shitstorms nicht im virtuellen Schützengraben der sozialen Medien. Schnurstracks marschiert sie zur „Übeltäterin“, nimmt sogar Quartier in deren Gästezimmer. Die zwei Frauen, so unterschiedlich in der sozialen Stellung und doch bisher scheinbar so gleichgestimmt in ihrer Ablehnung aller Unterdrückung von PoC's (people of colour), begegnen einander in echt und auf Augenhöhe.
Dieser Touch von Lebensnähe mag ja eines der Erfolgsrezepte sein für das Buch Identitti von Mithu Sanyal, einer in Deutschland lebenden Vorzeige-Vorkämpferin in Sachen Antirassismus. So trocken der (akademische) Diskurs darüber sein mag, so ausführlich Fragen nun wirklich „durchdekliniert“ werden: Es geht immer um Menschen aus Fleisch und Blut, um ihre Brüche in Biographien und Denkweisen, was Absurdität und Irr-Witz im Wortsinn einschließt. Die Rassismus-Debatte wird von Mithu Sanyal so griffig und so angriffig wie nur geführt, aber nicht engstirnig.
Die Version, wie sie die in Sachen Antirassismus nicht weniger umtriebige Berlinerin Simone Dede Ayivi jetzt auf die Bühne im Haus Zwei des Grazer Schauspielhauses gestellt hat, greift den Stoff auch aus der unmittelbaren Lebenswelt ihrer Darstellerinnen heraus. Das Bühnenbild besteht nur aus Fäden-Vorhängen, die sich für reale und gedankliche Projektionen gleichermaßen gut eignen. Da wird auch die Fadenscheinigkeit von Argumenten augenscheinlich.
Da ist Katrija Lehmann in der Rolle der Nivedita. Vater Inder, Mutter Polin, die junge Frau fühlt sich da wie dort nicht wirklich zuhause. Dass sie „in Wirklichkeit nur eine Weiße mit brauner Haut“ sei, diesen Verdacht muss sie schon auch auf sich sitzen lassen und schaut trotzdem mit großen, manchmal gar ungläubigen Augen auf ihre alltagsrassistische Umwelt. In Aufführungen mit juvenilem Publikum gibt Katrija Lehmann gewiss eine mehr als glaubwürdige, Zutrauen einflößende Indentifikationsfigur ab.
Die Gegenspielerin ist eine mit allen Wassern gewaschene Selbstdarstellerin. Mit strohblondem Haar, dickgerahmten Augengläsern, dekorativ um die Schulter geschwungenem Tuch aus dem Indien-Shop ist sie so absurd designt, dass es fast schon wieder authentisch wirkt. Vernesa Berbo spielt die „falsch“ kolorierte Professorin Saraswati, die auf jeden Vorwurf eine grelle Antwort, einen verbalen Winkelzug oder auch nur eine vage Hypothese aus ihrem Fachgebiet parat hat. Spannend wird’s an dem Abend immer, wenn sich die Darstellerinnen selbst einbringen. Vernesa Berbo (eine Bosnierin aus Sarajewo) beginnt plötzlich davon zu erzählen, wie mühevoll sie sich die Akzeptanz als Schauspielerin in Deutschland hat erobern müssen und wie sie jetzt doch eher wieder in einschlägigen Rollenbildern fest hängt.
Immer gegenwärtig und argumentiv reaktionsschnell zur Stelle sind Iman Tekle und Chen Emilie Yan, in Somalia geboren die eine, die andere in Shanghai. Iman Tekle holt einmal in einem schier unbremsbaren Wortschwall aus über die Position als Schwarze am Theater. Fazit: „Weiße können alles spielen, Schwarze nicht einmal sich selbst.“ Die Eigenschau auf ein diverses Theater fehlt also ebenso wenig wie Querverweise auf die jeweiligen Biographien der Darstellerinnen. Der Quotenmann in der Runde, Alexej Lochmann, kann auf Wurzeln von Russland-Deutschen verweisen.
Viel Bewegung, viel Musik, gebotene Überdrehtheit, hohes Sprechtempo mit Gespür dafür, wo man bremsen muss, um die Gedanken des Publikums doch auf wesentliche Aussagen zu lenken, Das hat die Regisseurin Simone Dede Ayivi, wie die Romanautorin auch sie eine einschlägig ausgebildete und publizistisch rege tätige Kulturwissenschafterin, gut im Griff. „Identitti Rezeptionista“ lebt davon, dass vermeintliche Race-Terroristinnen mit all ihren begründeten Anliegen herzhaft aneinander vorbei diskutieren, hoch emotional und doch so gar nicht verbiestert. Das hat auch etwas Befreiendes.
Aufführungen bis 21. April – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lex Karelly