Mit reichem Hall
REST DER WELT / BAD REICHENHALL / ALPENKLASSIK
24/08/10 Für das Festival "Alpenklassik" haben sich die Noten-Vielfraße der Bad Reichenhaller Philharmonie einmal über etwas Zeitgenössisches hergemacht. Die Uraufführung eines Stücks der Rihm-Schülerin Birke Bertelsmeier.
Von Reinhard Kriechbaum
Eigentlich ist man Kurorchester mit entsprechenden Repertoire-Verpflichtungen rund um die Uhr. Aber in das Portfolio der Bad Reichenhaller Philharmonie gehört dezidiert auch das klassische Orchesterrepertoire, das man auch in einer Abo-Reihe im Theater im Kurtgastzentrum pflegt. Zum Bad Reichenhaller Festival "Alpenklassik" (bis 29. August) ist das Orchester zwei Mal eingeladen und brachte am Montag (23.8.) im Theater im Kurgastzentrum die Uraufführung eines Orchesterstücks von Birke Bertelsmeier. Der Titel "… reichen Hall …" darf man ganz wörtlich nehmen. Bei ihrem Lehrer Wolfgang Rihm hat Birke Bertelsmeier das Klang-Sinnliche zu schätzen und auch die Farben auf der Orchesterpalette ordentlich an- und abzumischen gelernt. Da geben Basstuba und Posaune Einzeltöne vor, die in getragene Akkorde weitergeführt werden und sich in jeweils sanft verändertem Chroma aufblättern. Man denkt an eine senkrecht stehende Leinwand, wenn diese Klangflächen wieder auslaufen in Holzbläserklänge - wie Tropfen, die in mehr oder weniger dünnen Bahnen nach unten rinnen. Nach vier oder fünf Minuten eher statischem Spiel kommt viel Bewegung ins Geschehen, aus einer der hinteren Logen schnattert die Ferntrompete, gestopft erst und dann offen schmetternd, wozu das Orchester das Seine an Temperament beiträgt. Auch eine Fern-Geige, ebenfalls hinten oben im Zuschauerraum postiert, bekommt einige Aufgaben in einem langsamen Abschnitt. Formale Verknappung und Bescheidung bei der Wahl der Mittel ist sicherlich keine Tugend dieser Komposition, die - und da sind wir ja beim Titel - mit "reichem Hall" nicht spart. Es ist eine Auftragskomposition, die Ernst-von-Siemens-Stiftung hat dafür Geld gegeben, und "Alpenklassik"-Intendant Klaus Lauer durfte zur Uraufführung auch Birke Bertelsmeiers Lehrer Wolfgang Rihm begrüßen.
Eine nette Geste: Nach allen "Alpenklassik"-Konzerten wird ein Süppchen ausgeschenkt und es gibt die Möglichkeit, mit den Künstlern zu plaudern. Die "Alpenklassik" hat sich vom eher prominent-kulinarischen Musik-Event zu einem programmatisch recht ehrgeizigen Konzertunternehmen entwickelt, was freilich einen deutlichen Knick in der Publikumsgunst bedeutete. An vier Abenden war, wie berichtet, der Pianist Pierre-Laurent Aimard da. Dass es eigentlich wenig Sinn macht, so etwas zwanzig Kilometer neben der Festspielstadt Salzburg ausgerechnet in der zweiten Augusthälfte abzuheizen, ist dem neuen Intendanten (es ist die zweite Saison unter Klaus Lauers Leitung) auch aufgefallen. Und so wird - wie er dem DrehPunktKultur sagte - auf sein Betreiben hin das nächste Festival von 20. bis 31. Oktober stattfinden. Da wird es unter anderem an drei Abenden eine Hommage an György Ligeti geben und an mehreren Abenden wird "New York zu Gast" sein (konkret: The Chamber Music Society of Lincoln Center). Auch die Bad Reichenhaller Philharmonie wird wieder eine Uraufführung beitragen.
Das Konzert am Montag hatte mit einer Rarität von Leos Janacek begonnen: Seine "Lachischen Tänze" greifen die Aura ostmährischer Volksmusik und spiegeln, wie sich der Komponist das folkloristische Vokabular angeeignet hat. Und zum Abschluss Rachmaninoffs Drittes Klavierkonzert d-Moll op. 30 mit einem interessanten jungen Solisten: Der Münchner Benjamin Moser (der seine Debüt-CD im Vorjahr dem russischen Repertoire widmete) scheint schon eine sehr eigene, lyrische Sicht zu haben auf diese Musik, die er weit wegrückt von Tastendonner.