Rameau aktualisiert im Prinzregententheater
REST DER WELT / MÜNCHEN / LES INDES GALANTES
29/07/16 Sidi Larbi Cherkaoui rückt in München die Aktualität von Jean-Philippe Rameaus Ballettoper Les Indes Galantes in den Fokus und hofft mit dem Komponisten auf den Sieg der Liebe über die Gewalt. Am Pult des Festspielorchesters steht Ivor Bolton.
Von Oliver Schneider
Die 1736 in ihrer definitiven Form erstmals aufgeführte Opéra-ballet „Les Indes Galantes“ erlebte am letzten Sonntag ihre erste Münchner Aufführung überhaupt. Damit war es die zweite große Produktion im Rahmen der heurigen Münchner Opernfestspiele. Als Aufführungsort hat man das für Tanz bestens geeignete Prinzregententheater gewählt.
Um französische Barockopern hat die Bayerische Staatsoper bisher einen Bogen gemacht, weshalb die Neuproduktion auch eine späte Reverenz an den lange überhaupt nur noch als Musiktheoretiker bekannten Rameau darstellt. Dabei setzte Rameau nicht nur mit der Tragédie en musiques, sondern gerade auch mit der Opéra-ballet neue Maßstäbe in der Operngeschichte.
Dass Rameau – und auch „Les Indes Galantes“ – heute wieder regelmäßig auf den Spielplänen zu finden ist, ist William Christie zu verdanken. Anders als Christie vor zehn bzw. zwanzig Jahren steht nun aber Ivor Bolton eine kritische Werkausgabe zur Verfügung.
Bolton ist zwar ein erfahrener Händel-Spezialist und das Festspielorchester ein exquisiter Originalklangkörper, der sich aus Mitgliedern der international renommiertesten Ensembles zusammensetzt. Aber für den Münchner Rameau fehlen ihnen die nötige Leichtigkeit, die Eleganz. Dadurch kommen vor allem die außergewöhnliche Instrumentierung, die Differenzierung zwischen den verwendeten Arienformen und die mit der Handlung korrespondierenden Exotismen zu wenig zu Geltung. Wenn Feuer verlangt ist, wenn es in der Musik donnert und blitzt, dann hingegen weiß Bolton die Musikerinnen und Musiker anzutreiben.
Eine Opéra-ballet setzt sich aus auswechselbaren, unabhängigen Entrées (Akten/Bildern) und einem verbindenden Prolog zusammen. In „Les Indes Galantes“ geht es schlussendlich um den Sieg der Liebe, unabhängig von Zeit und Ort, über Krieg und Gewalt. Exponiert wird das Thema von Hébé und der Kriegsgöttin Bellona. Regisseur und Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui verlegt die Handlung in ein Klassenzimmer wohl zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Anna Viebrock hat den Raum geschaffen. Während Hébé noch von Liebe singt (glockig Lisette Oropesa), lockt Bellone (köstlich Goran Jurić) die jungen Männer in den Krieg. Da ist auch Amor (leicht ansprechend Ana Quintans) machtlos. Doch von der Schule geht es ins Museum und näher zur Gegenwart, in dem die Besucher die Geschichte vom großmütigen Türken – wie Mozarts Entführung – in den Vitrinen bestaunen können. Sehr gut sind die drei Solisten: Elsa Benoit als umworbene Emilie, Tareq Nazmi als sonorer, unerhörter Osman und Cyril Auvity als europäischer Geliebter Valère mit wohlklingenden Haut-Contre.
Statt im Original bei den Inkas spielt das nächste Bild in der Kirche, in der der Priester Huascar (beweglich François Lis) nicht nur traut, tauft und Beichten abnimmt, sondern auch selbst amouröse Gefühle zeigt. Doch die Inkaprinzessin Phani (subtil Anna Prohaska) liebt den spanischen Offizier Carlos (Mathias Vidal). Doppelrollen und der Einheitsbühnenraum verstärken die Verbindungen der Entrées, die nach der Pause mit einem Harem im Museum und Haremsdamen als Putzfrauen und schließlich einem Flüchtlingstreck, der hinter Stacheldraht gefangen gehalten wird, im Schlussentrée ihre Fortsetzung finden.
Nicht nur die über schlanke, instrumental geführte Stimmen verfügenden Solisten, die zum Teil auch tanzen, und der exzellente Balthasar-Neumann-Chor (Einstudierung: Detlef Bratschke) tragen diesen Abend, sondern auch die Tänzerinnen und Tänzer, die der künstlerische Leiter des Königlich Flämischen Balletts und der Company Eastman aus Antwerpen mitgebracht hat. Mit ihrem Modern-Bewegungsrepertoire bieten sie für das Liebesplädoyer und den Aufruf zum Gewaltverzicht vom Librettisten Louis Fuzelier eine tänzerische Parallele im 21. Jahrhundert. In der abschließenden, bekannten Chaconne verkünden sie schließlich den endgültigen Sieg der Liebe. Möge die Kunst doch ein stärkeres Vorbild für die Realität sein.