Meister und Schüler
REST DER WELT / LUZERN / WIENER PHILHARMONIKER
20/09/10 Noch vor zwei Jahren ging Gustavo Dudamel bei Nikolaus Harnoncourt in Salzburg in die „Schule des Hörens“, um aus dem Wissens- und Erfahrungsschatz des Doyen Impulse für sein eigenes Wirken zu erhalten. Heuer sind Harnoncourt und Dudamel gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern auf Herbsttournee, die sie zunächst nach Luzern führte, bevor es Ende Monat noch nach New York geht.
Von Oliver Schneider
Harnoncourt dirigierte ein reines Beethoven-Programm, in dem Lang Lang das erste Klavierkonzert spielte. Konnte das gut gehen? Es konnte, denn die Philharmoniker stellten sich ganz auf den chinesischen Starpianisten ein, so dass eindringliche Momente der Interaktion entstanden. Lang Lang weiss gleichermaßen mit technischer Brillanz zu verzaubern wie mit Unerwartetem zu irritieren. Vor allem im ersten Satz setzte er eigenwillige Akzente. Harnoncourt schien das nicht zu stören, ganz im Gegenteil, zwischen den beiden schien bestes Einvernehmen zu bestehen. Viel Applaus, für den der Chinese leider unpassenderweise mit Prokofiev dankte.
Keine Rücksichten nehmen mussten Harnoncourt und die Wiener nach der Pause mit einer exemplarischen Wiedergabe der Siebten. Richard Wagner sprach von der „Apotheose des Tanzes“, was Harnoncourt in seiner kurzen Einführung korrigierte und auf Schubert und Schumann verwies. So wie in diesen 45 Minuten hat man die Philharmoniker schon lange nicht mehr mit Beethoven gehört. Jeden Wunsch erfüllten sie Harnoncourt, der vor allem den Mittelstimmen ihren Raum ließ. Im gar nicht langsamen zweiten Satz imponierte das Orchester mit subtilem, intensivem und filigranem Spiel. Nachdem Harnoncourt bereits im Scherzo die Energie der Musiker entfesselt hatte, ließ er es im abschließenden Allegro con brio auf dem Podium brodeln und kochen, so dass die Wiener alle ihre Klangreserven mobilisieren mussten.
Solide eröffnete Gustavo Dudamel den zweiten Abend mit Brahms’ Tragischer Ouvertüre. Im Mittelpunkt des Konzerts stand ohnehin der Cellist Nicolas Altstaedt, der mit dem Schumann-Konzert sein Debüt mit den Wiener Philharmonikern gab. Er ist der sechste Preisträger des Credit Suisse Young Artist Award, den die Schweizer Bank alle zwei Jahre in Zusammenarbeit mit dem Luzerner Festival, den Philharmonikern und der Gesellschaft der Musikfreunde Wien vergibt. Der 28-Jährige, der in einem Gespräch Harnoncourt und Gidon Kremer als für ihn prägend bezeichnet hat, debütierte bereits 2008 bei den Schubert-Szenen im Rahmen der Salzburger Festspiele.
Altstaedts Spiel zeichnet sich durch schlanke Tongebung und dezent eingesetztes Vibrato aus. Die ohnehin von Schumann stark zurückgenommene Orchesterbegleitung lag bei den Wienern auch bei diesem Konzert in guten Händen. Voller jugendlich-sinnlicher Expressivität gestaltete der Cellist deutsch-französischer Abstammung das Intermezzo und zeigte im Schluss-Satz, dass es nicht nur im Ausdruck, sondern auch technisch für ihn keine Hürden gibt.
Dvo?áks populäre Neunte zum Abschluss spielten die Gäste aus Wien zwar nicht mit der gleichen Präzision wie am Vorabend Beethoven, folgten den Vorgaben des venezolanischen Dirigenten dafür bereitwillig. Dudamel fächerte das Largo zwar klar auf, dehnte es aber gleichzeitig über Gebühr. Im Allegro con fuoco entzündete er ein effektvolles Feuerwerk scharfer Kontraste.
Mit dem Abschlusskonzert ebenfalls von Gustavo Dudamel geleitet beschritt das Lucerne Festival neue Wege und übertrug das Konzert erstmalig live per Streaming auf seiner Website sowie in über 50 europäischen Kinos unter anderem auch in Wien und Graz. Nach der spritzigen Ouvertüre zu Rossinis „La gazza ladra“ folgten die „Tres versiones sinfónicas“ des nach Kuba emigrierten und später in die USA exilierten Spaniers Julián Orbón. Zwar nichts Südamerikanisches als Hommage an den Dirigenten, aber immerhin erhielt Orbón für die „Tres versiones sinfónicas“ einen Preis beim Internationalen Musikfestival in Caracas. Eine hübsche, aber belanglose Abwechslung zum Standardrepertoire, in der sich Orbón von kubanischer Folklore inspirieren liess und unter anderem aus der europäischen Renaissance-Musik zitierte.
Auch Bernstein zitiert reichlich in seinem Divertimento für Orchester, von Beethovens Fünfter bis zu John Philip Sousa. Die Philharmoniker glänzten mit einer engagierten Wiedergabe. Mit Schmelz, ohne ins Kitschige abzudriften, überzeugten sie noch mit Ravels „Pavane pour une Infante défunte“, bevor sie unter Dudamels Stabführung zum krönenden Abschluss einen im musikalischen Vollrausch kulminierenden „Boléro“ präsentierten. Ein gelungener Abschluss des Luzerner Sommers, in dem rund 97'000 Besucher 62 Konzerte besuchten, was einer Auslastung von 93 Prozent entspricht.