Ein Fest des Rossini-Gesangs
REST DER WELT / MÜNCHEN / SEMIRAMIDE
14/02/17 Eine glanzvoll besetzte Rossini-Rarität im Nationaltheater: Joyce Di Donato und Daniela Barcellona brillieren in Rossinis letzter Opera seria, "Semiramide".
Von Oliver Schneider
Einhelligen Jubel gab es im Münchner Nationaltheater für die musikalische Seite der Premiere von Gioacchino Rossinis 1823 in Venedig uraufgeführter Semiramide. Für ein Werk, das fast schon Wagnersche Dimensionen besitzt. Das beginnt man schon bei der symphonisch ausladenden Ouvertüre. Auch die szeneartigen Duette fordern die Protagonisten nicht nur technisch, sondern auch längenmäßig stark heraus. Semiramide findet wohl auch deshalb nur mehr selten den Weg auf die Opernbühnen. Hinzu kommt, dass der musikalische Reichtum mit szenischen Längen verbunden ist.
Die babylonische Königin Semiramis hat mit ihrem damaligen Geliebten Assur ihren Gatten Nino vergiftet. Ihr Sohn Ninia ist seitdem verschollen. Jahre später soll sich Semiramide wieder vermählen. Sie hat den jungen Feldherrn Arsace auserkoren, der aber wiederum in die Prinzessin Azema verliebt ist. Genau wie Assur. Es stellt sich dann aber heraus, dass Arsace der verschollen geglaubte Ninia ist. Gaetano Rossi hat das Libretto auf einer Vorlage Voltaires verfasst.
Für die Neuinszenierung ist David Alden an die Bayerische Staatsoper zurückgekehrt. Er verlegt den Abend in eine mittelöstliche Diktatur in nicht allzu ferner Vergangenheit, wobei die Kostüme (Buki Shiff) – wie bei Alden gerne – Fantasy-artigen Charakter haben. Das stört auch nicht, denn es geht weniger um Politik als um Rache. Der Oberpriester Oroe (klangsatt Simone Alberghini) will den Mord an König Nino rächen. Und Assur will sich an Arsace rächen, weil nicht er zum König werden soll und ihm der Konkurrent auch bei Azema im Licht steht. Leider wird diese durch ein Zwangsjacken-ähnliches goldenes Abendkleid und die Tatsache, dass man sie wie eine Puppe herein- und herausträgt, noch stärker in die Passivität gedrängt als ohnehin schon vom Libretto vorgesehen (stimmlich aber beweglich Elsa Benoit). Überhaupt beschränkt sich Alden in erster Linie auf das statische Bebildern der tableauartigen Szenen, wobei er von Beate Vollack choreographisch unterstützt wird. Die Protagonisten machen librettogemäss – bis auf Arsace/Ninia, der seiner Mutter am Ende ihren Giftmord verzeiht – keine Entwicklung durch, was es dem Regisseur nicht einfacher macht.
Gespielt wird in Räumen mit verschiebbaren Wänden und Decken. Im ersten Akt erinnert eine an kommunistischen Vorbildern sich orientierende Statue Ninos an den Diktator und seinen Mord, während im zweiten Akt Semiramides barockes Bett zeigt, auf welchem Weg sich die Machtverhältnisse in Babylon verschieben (Bühne: Paul Steinberg). Das Regieteam nahm am Premierenabend eine Mischung aus Zustimmung, Ablehnung und Indifferenz entgegen.
Musikalisch bewegt sich der Abend auf einem ganz anderen Stern. Das ist zunächst der Verdienst Michele Mariottis und des Bayerischen Staatsorchesters. Schon in dem wunderbar ausgearbeiteten, Bläser-dominierten langsamen Teil der Ouvertüre zeigt Mariotti, dass er um die Stärken von Rossinis herausragender Instrumentierungskunst weiß. Mit Bedacht hat Mariotti die vielen solistischen Linien in der Partitur herausgearbeitet, was gerade in den vielen Piano-Stellen zur Geltung kommt. Dass der Lupenblick im ersten Akt ein bisschen auf Kosten der Dramatik geht, mach Mariotti dann zu Beginn des zweiten Akts wett.
Das Rollendebüt von Joyce DiDonato als Semiramide – Rossini hat die Partie für seine Frau, der Mezzosopranistin Isabella Colbran geschrieben – ist schlicht fulminant gelungen. Dank der großen Bandbreite ihres stimmdarstellerischen Ausdrucks holt sie auf Linie und in den Koloraturen alle Facetten aus dem Charakter der Königin heraus. Trotz mangelnder Unterstützung durch die Regie.
Viril gestaltet Daniela Barcellona die Hosenrolle des Arsace/Ninia und zeigt sich in den zahlreichen halsbrecherisch ausgeformten Koloraturpassagen als stimmkonditionell fit. Alex Esposito als Assur überzeugt mit tragfähigem und beweglichem Bassbariton. Lawrence Brownlee als indischer Prinz Idreno und neben Arsace und Assur der dritte Anwärter auf Azemas Liebe, punktet mit seinem edel timbrierten Tenor und (fast) mühelos perlenden Koloraturen. Galeano Salas als Mitrane, Igor Tsarkov als Geist Ninos und der von Stellario Fagone vorbereitete Chor komplettieren den guten musikalischen Eindruck.