Ein Klang, so wunderbar judenrein…
ZEITGESCHICHTE / WIENER PHILHARMONIKER (4)
15/03/13 Der 1938 vertriebene Cellist Friedrich Buxbaum begegnete „seinem“ Orchester 1947 in London wieder. Er soll die Ex-Kollegen so begrüßt haben: „Liebe Freunde, ich bin so glücklich, dass ich wieder bei euch sein darf. Ich hab’ euch stimmen hören. Es klang wunderbar rein. Ganz judenrein.“
Von Reinhard Kriechbaum
Am aufschlussreichsten und zugleich am berührendsten ist die vorliegende Dokumentation über die Nazi-Vergangenheit der Wiener Philharmoniker dann, wenn es um konkrete Biographien geht, um Oper, Täter, Mitläufer. Bernadette Mayrhofer hat sich dieses Bereichs – der realen Biographien und Schicksale – angenommen. Aus dem Philharmonischen Verband bzw. aus dem Orchester der Staatsoper wurden 1938 dreizehn aktive Musiker vertrieben. Drei weitere Philharmoniker, die bereits in der Pension waren, fielen dem Holocaust zum Opfer. Insgesamt fünf Philharmoniker wurden im Zuge der rassistischen Säuberungen ermordet. Ein Philharmoniker starb infolge der Delogierung aus seiner Wohnung. Ein weiterer verstarb noch vor der drohenden Deportation in Wien.
Im Ghetto Theresienstadt konnte der philharmonische Oboist Armin Tyroler – er endete in der Gaskammer von Auschwitz – seine organisatorische Kompetenzen fürs Überleben nützen: Er schaffte es, in der „FZG“ („Freizeitgestaltung“), „einer 1943 gegründeten selbständigen Abteilung innerhalb der jüdischen Selbstverwaltung“,
im Ghetto mitzuarbeiten. Da war er also einer „Kollegen“ der Komponisten Viktor Ullmann und Hans Krása, deren Opern „Der Kaiser von Atlantis“ und „Brundibar“ dieser Tage gerade in Salzburg zu sehen sind. Unvorstellbar, wie Bernadette Mayrhofer die Lebensbedingungen schildert in diesem einstigen „Vorzeige-KZ“ der Nationalsozialisten.
Es läuft einem auch kalt über den Rücken angesichts des Schicksals des Geigers und Mahler-Schwiegersohns Arnold Rosé (im Bild oben rechts), der hochbetagt ins Londoner Exil getrieben wurde. Und man versteht andrerseits menschlich zu gut, dass der Trompeter Franz Dengler NSDAP-Mitglied geworden war – die Parteimitgliedschaft diente quasi als Schutzschild, unter dem Dengler seine jüdische Lebensgefährtin als U-Boot durchbrachte. Es hat tatsächlich geklappt.
Die Stimmführer-Gruppe im Bild links rund um den Dirigenten Bruno Walter war 1938 rasch Vergangenheit, und Bruno Walter durfte natürlich auch nicht auftreten im Dritten Reich.
Franz Bartholomey (der Vater des kürzlich pensionierten Cellisten) ist aus der Partei rausgeflogen, weil er einen Maler beschäftigt hatte, der mit einer Jüdin verheiratet war. Ihm haben die Orchestermusiker danach übel mitgespielt, indem sie ihn nach dem Krieg verleumdeten.
Ricardo Odnoposoff war Konzertmeister. Weil er als gebürtiger Russe keinen Ariernachweis erbringen konnte, musste er nach Argentinien ins Exil gehen. Auf seinen Posten kam damals Wolfgang Schneiderhan.
Ein einzigartiges Zeitdokument wurde aufgestöbert, und dieses wird wohl noch genauer zu studieren sein: In einem Keller-Depot fand sich die Abonnenten-Buchführung der Philharmoniker-Konzerte bis 1945. Da kann man herauslesen, was für einen Aderlass der Wegfall auch des jüdischen Publikums bedeutete. „Von erschreckender Unmenschlichkeit ist in der Gesamtbilanz die Feststellung des Buchhalters und des Kassiers, dass sich ‚Ausgaben für soziale Zwecke ... durch Ausscheidung der Juden gegen das Vorjahr (18.326,90) um cca.RM 4900,- verringert haben. Für nächstes Jahr kann mit einer weiteren Verringerung um cca. RM 3000.- gerechnet werden““, schreibt Oliver Rathkolb. „Mit diesem Buch erhält zum ersten Mal das Publikum – erhalten die Mäzene und AbonnentInnen der Wiener Philharmoniker vor 1938 einen Namen, ein Gesicht und ein Lebensschicksal. Damit wird aber auch das Ausmaß der nationalsozialistischen Verfolgungs-, Vertreibungs- und auch in vielen Fällen Vernichtungspolitik deutlich.“
Übrigens: „Mit Fortdauer des Krieges sanken die individuellen Publikumszahlen keineswegs“, hat der Historiker herausgebracht. Im Gegenteil. Eher sei von ein „emotionaler Rückzug in die Konzertsäle“ spürbar.
Gelegentlich fuhren die Philharmoniker auch in die Provinz zu Soldatenkonzerten, eines der letzten fand in der SS-Kaserne Glasenbach noch im März 1945 statt. Dass die Philharmoniker an der Front ideelle Hilfe mit ihrer Musik geleistet hätten, ist freilich Mystifikation.
Im übrigen: Außerhalb ihrer unmittelbaren Abonnementkonzerte mussten die Wiener Philharmoniker immer mehr Walzer und Polkas der Strauß-Dynastie spielen. 50 Prozent des Repertoires soll deren Musik im letzten Kriegsjahr ausgemacht haben. damals in diesem bereich gelegen sein. Das lag im politischen Kalkül der Nationalsozialisten. Schließlich war sogar Goebbels der Überzeugung, Wien müsse wieder „eine Stadt der Kultur, des Optimismus, der Musik und der Geselligkeit“ werden. Und Johann Strauß hatte man ja ohne öffentliches Aufhebens von seinem Vierteljuden-Makel reingewaschen… (Ende der Serie)