"My dearest Nazi"
ZEITGESCHICHTE / WIENER PHILHARMONIKER (2)
12/03/13 Ein tiefschwarzer Punkt in der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit der Wiener Philharmoniker: Warum hat Baldur von Schirach seinen Ehrenring 1966 nochmal bekommen? Helmut Wobisch, später Begründer des Carinthischen Sommers, ist vermutlich die Schlüsselfigur.
Von Reinhard Kriechbaum
Die zweite so recht medienwirksame Causa in der Nazi-Vergangenheit der Philharmoniker betrifft den Ehrenring für Baldur von Schirach (im Bild rechts). Dieser Ring sei ihm von einem amerikanischen Besatzungssoldaten abgenommen worden, heißt es. Ein Undercover-Gewährsmann der Philharmoniker habe Schirach ein Duplikat dieses Ehrenzeichens überbracht, gleich 1966, als der ehemalige Reichsstatthalter und Gauleiter von Wien aus der Kriegsverbrecher-Haft entlassen worden war.
Dass ein offizieller Vereinsbeschluss der Philharmoniker hinter diesem skandalösen Vorgehen stand, ist nicht aktenkundig. Nach Stand der aktuellen Historiker-Recherche könnte Helmut Wobisch dieser „böse Bube“ gewesen sein. Sein übler Leumund passte gut dazu: Wobisch, ab 1939 Trompeter in Philharmoniker-Reihen, war illegales NSDAP-Mitglied der ersten Stunde (ab 1933), als SS-Mann Teilnehmer am missglückten Juliputsch 1934, in der Nazizeit Leiter der Bläserausbildung der Hitlerjugend im Gebiet Wien. Die NS-Behörden lobten ihn als „gut unterrichteten“ Informanten (Spitzel).
Nach dem Krieg wurde Wobisch zwar augenblicklich aus dem Philharmoniker-Reihen eliminiert, aber ab 1950 war er wieder ganz vorne dabei, als Solotrompeter und sogar als Geschäftsführer. Lehrauftrag an der Wiener Musikhochschule, Professorentitel, Großes Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich: Helmut Wobisch machte eine klassische Nachkriegskarriere. Fürs Seelenheil hat er den von ihm mitbegründeten und bis 1980 geleiteten Carinthischen Sommer zu einem Ort der Pflege der Kirchenoper gemacht. Auch mit diesem neu erwachten Religionsbewusstsein ist er kein Einzelfall.
Die schwer angebräunte Vergangenheit des Helmut Wobisch war im Nachkriegsösterreich kein Thema mehr. Der Historiker Oliver Rathkolb sprach dieser Tage in einem Standard-Interview von der Präsidentschaftskanzlei des Theodor Körner als einer „Persilschein-Fabrik“. Gegenüber Körner hatte Wobisch nämlich sogar behauptet, er habe Philharmoniker, die als Halbjuden galten oder mit jüdischen Frauen verheiratet waren, im Orchester gehalten. Das wird eindeutig widerlegt. Tatsächlich war der Kontrabassist Wilhelm Jerger, in der Nazi-Zeit mit Otto Strasser im Philharmoniker-Leitungsgremium, derjenige, der sich wirklich einsetzte für akut von Deportation betroffene Kollegen. Allerdings mit nur mäßigem Erfolg. Jerger war Nationalsozialist mit katholischem Background.
Fünf Orchestermusiker sind aufgrund von Verfolgung bzw. KZ-Haft umgekommen, neun ins Exil vertrieben worden. Elf Orchestermusiker durften bleiben, obwohl sie als „Halbjuden“ stigmatisiert waren oder mit Jüdinnen verheiratet waren.
Nach aktuellem Wissensstand waren von 123 Mitgliedern des Vereins Wiener Philharmoniker sechzig NSDAP-Mitglieder oder Parteianwärter (davon zwei SS Mitglieder). Nach 1945 wurden vier Musiker sofort gekündigt und sechs pensioniert, zwei sind aber dann später wieder in das Staatsopernorchester und den Verein Wiener Philharmoniker aufgenommen worden.
Historische Wahrnehmungen und Wertungen ändern sich. Wie könnte man das besser illustrieren als mit einer Anekdote, die es vor zwei Wochen sogar in die New York Times brachte: Leonard Bernstein (im Bild links oben mit Wobisch, beim Carinthischen Sommer 1975) stand nach dem Krieg oft am Pult der Wiener Philharmoniker. Er soll Helmut Wobisch jovial als „my dearest Nazi“ angesprochen haben. Sage also keiner, dass niemand von alledem nichts wusste! (Wird fortgesetzt)