„abgereist IX 38“
ZEITGESCHICHTE / WIENER PHILHARMONIKER (1)
11/03/13 Die Wiener Philharmoniker seien „ausschließlich ein Wiener Orchester“, allesamt „Söhne einer einzigen Landschaft, einer einzigen Stadt“, schwärmte Wilhelm Furtwängler 1942, als es galt, das 100-Jahre-Jubiläum des Orchesters zu feiern.
Von Reinhard Kriechbaum
Furtwängler hatte freilich absolut Recht: Allfällige Nicht-„Söhne der Stadt“ aus damaliger ideologischer Sicht waren zu dem Zeitpunkt längst im Exil oder unterwegs nach Auschwitz. Die Notiz „abgereist IX 38“, die sich oftmals in einem neu aufgefundenen Abonnentenverzeichnis der Philharmoniker über die Jahre 1909-1945 findet, passte eben auch in die Biographie vieler damals von heute auf morgen ausgegliederter Orchestermitglieder.
Man könnte, ein wenig blauäugig schönfärbend, Furtwänglers Statement aber auch so deuten, dass er damit die Wiener Philharmoniker nicht als Repräsentanten des Reichs angesprochen habe, sondern eben nur eines deutschen Teilgebiets. Ein schwacher Trost für die authentische Klangkultur des „Prototyps eines Volksorchesters im wahrsten Sinn“ (so Furtwängler).
Im selben Jahr hat Baldur von Schirach den Ehrenring der Philharmoniker erhalten. Ein Jahr zuvor hatte Schirach anlässlich der „Mozartwoche des deutschen Reiches“ postuliert, Mozart sei ein „Teil der Kraft, aus der heraus die Deutschen überhaupt Krieg führen“ könnten.
In diesen Tagen wird in den Medien viel Aufhebens gemacht um die Nazi-Vergangenheit der Wiener Philharmoniker, und die haben – wahrlich nicht zu früh – reagiert, indem sie die Ergebnisse der seit April 2011 tätigen Historikerkommission Oliver Rathkolb, Bernadette Mayrhofer und Fritz Trümpi mit heutigem Tag (11.3.) auf ihrer Homepage öffentlich gemacht haben.
Man darf vorhersagen, dass nun ein, zwei Reizthemen die mediale Aufmerksamkeit prägen werden: Da ist einmal das Neujahrkonzert, zu dem Oliver Rathkolb mit der nötigen brachialen Deutlichkeit festhält: „Um es unmissverständlich voranzustellen – die Tradition von über Rundfunk (und später Fernsehen) ausgestrahlten Konzerten mit Werken von Johann Strauß anlässlich des Jahreswechsels begann in der NS-Zeit, am 31. Dezember 1939 mit einem ‚Johann Strauß Konzert‘ bzw. am 1. Jänner 1941 mit einer 2. Philharmonischen Akademie, die ab diesem Zeitpunkt von den Wiener Philharmonikern gemeinsam mit der Reichsrundfunkgesellschaft gemeinsam organisiert wurden!“
Die Bredouille wird dann aber vom Historiker doch eher aus dem Philharmoniker-Kreis weggelenkt, hin auf Clemens Krauss. Mit ihm haben die Philharmoniker schon ab 1929 reine Johann-Strauß-Programme gegeben, zum Beispiel bei den Salzburger Festspielen. Im Keller-Depot der Philharmoniker habe sich, so der Historiker Rathkolb, eine Korrespondenzmappe mit den Verträgen und Schriftverkehr mit der Reichsrundfunkgesellschaft gefunden. Es bestätige sich nun, dass tatsächlich Clemens Krauss die Initiative fürs Neujahrskonzert gab und er auch die ersten Gespräche in Berlin mit der Reichsrundfunkgesellschaft vorbereitet habe. „Clemens Krauss ist der zentrale Motor für die Strauß-Konzerte vor 1938 und nach 1938“, so Rathkolb. Man sei mit dem Neujahrskonzert jedenfalls keinen dezidierten Auftrag aus Berlin nachgekommen.
Beschwichtigendes aus Historikermund: „Das Alleinstellungsmerkmal, das das Neujahrskonzert heute als globales Musik-Label`‘ hat, traf weder 1939 noch 1941-1945 zu.“ Clemens Krauss und Wilhelm Jerger (der Philharmoniker-Vorstand in der Nazi Zeit) seien nicht am Neujahrskonzert selbst, sondern an einem im Rundfunk übertragenen Sonderzyklus aus vier „Philharmonischen Akademien“ interessiert gewesen.
Wie auch immer: Ein wenig peinlich muss uns die Neujahrskonzert-Genese schon sein, auch wenn es nicht von den Berliner Chef-Nazis, sondern von in Wien tätigen Obernazis eingeführt worden ist. Clemens Krauss war immerhin ein Intimus Joseph Goebbels, der ihm1941 die Leitung der Salzburger Festspiele übertrug. Krauss stand auf der „Gottbegnadeten-Liste“ der Nazis.
Übrigens: „Jüdische“ Musik mussten die Wiener Philharmoniker nicht erst in großem Rahmen aus ihren Konzertprogrammen herausstreichen, denn Mendelssohn und Mahler hatten schon in den Jahren vor dem Anschluss zunehmend geringeren Stellenwert. Man war durchaus politisch vorauseilend kooperativ, zeigen die erhellenden historischen Beiträge auf der Philharmoniker-Website. Andrerseits: Die Symphonien des Ur-Deutschen Schumann haben die Philharmoniker auch nicht gerne gespielt, und die damals Neue Musik, die manche von ihnen gerne gehört hätten, schon gar nicht. Mehr Wagner und mehr Bruckner gab es aber ab 1938 sehr wohl in den Konzerten. (Wird fortgesetzt)