Wie Singen Menschen verbindet
BACHCHOR SALZBURG / CHORAGE
23/10/23 Wenn man's ein bisserl kitschig ausdrücken möchte: Das jüngste Konzert der Chorage-Reihe, also der A-capella-Schiene des Salzburger Bachchores, hat direkt hineinschauen lassen in die polyglotte Seele dieses Ensembles. Eine folkloristische Halb-Weltreise.
Von Reinhard Kriechbaum
Aus zwanzig Ländern kommen die Mitglieder des Bachchores. Da sei „Vereinheitlichen“ die vordringlichste Aufgabe, erklärt dessen Leiter seit dem Vorjahr, Benjamin Hartmann. Aussprache, Artikulation, Stimmgebung – all die Bausteine halt, die ein Chorleiter zurechtklopfen muss, damit ein ordentlich homogener Klang zustande kommt. Diesmal aber hat man den Spieß umgedreht. Die polyglotte Schar der Sängerinnen und Sänger war eingeladen, Lieblingsstücke aus ihrer jeweiligen Heimat auszusuchen. Da wurde zwangsläufig ein tönendes „Europa de Muttersprachen“ draus. Aber nicht nur – schließlich ist auch eine Japanerin in der Gruppe und auch Leute aus Mexiko und Chile. Osteuropa ist stark vertreten (Litauen,Ukraine, Polen, Ungarn).
Von den vielen Eindrücken dieser buntscheckigen Musikfolge hat man unter anderem mitnehmen können, dass man beileibe nicht in den Fernen Osten reisen muss, um so recht Exotisches zu hören. Ein Trinklied aus Island (O meine Flasche Frieden) nimmt es locker auf mit den Beiträgen der Japanerin. Und die Lieder aus Kurpie, einer Heidelandschaft im nordost-polnischen Masowien, entfalteten in ihren von Karol Szymanowski herb-sinnlich aufgeladenen Sätzen nicht minder spektakulär-fremdartigen Reiz.
Kurpie. Wissen Sie auf Anhieb, wo ungefähr auf der Landkarte man das findet? Nicht wenige Leute hierzulande könnte man ja schon mit der Frage, wo die Sorben daheim sind, in Verlegenheit bringen. Ein festlicher Ostergesang von dort (im Grenzgebiet zwischen Sachsen und Polen, nahe der tschechischen Grenze) eröffnete den Abend. Das war auch gleich ein Beispiel für raffinierte Chor-Arrangements, die der oberösterreichische Komponist Georg Wiesinger zu diesem Konzert beigetragen hat. Ein Highlight ist ihm fürs japanische Töryanse gelungen, ein Lied über Jenseits-Vorstellungen für früh verstorbene Kinder. Einen oszillierenden, rhythmisch komplexen Satz (14/8-Rhythmus hat man nicht alle Tage), der dennoch Gassenhauer-verdächtig ist.
Litauen ist ein Chor-Hotspot in Europa, eine große Tradition dort (wie auch in den anderen baltischen Ländern) haben Sängerfeste (litauisch dainų šventė). Das sind Folklore-Veranstaltungen mit tausenden Sängerinnen und Sängern. Entstanden sind sie im 19. Jahrhundert als Manifestationen gestärkten nationalen Bewusstseins. Eine Episode eigentlich schon vergessener Zeitgeschichte: 1989 bildete sich eine 650 km lange Kette von Menschen, die friedlich Volkslieder sangen, von Vilnius über Riga bis Tallinn. „Singende Revolution“ nannte man das damals, und tatsächlich gehörten diese ehemaligen Sowjetrepubliken bald zur EU...
So viel zur völkerverbindenden Kraft von Musik, die an diesem Abend greifbar wurde am Beispiel der 32-köpfigen Bachchor-Truppe. Respekt vor der Flexibilität und vor allem auch vor dem Eifer, mit dem man die sprachlichen Herausforderungen meisterte. Elf Sprachen und Idiome, wenn ich mich nicht verzählt habe!
Mitglieder des Bachchores haben den Abend im Solitär des Mozarteums auch moderiert und davon erzählt, was ihnen an der Musik aus ihren Heimaten so wichtig ist. Auch das liebevoll gestaltete Programmheft ist eine Erwähnung wert. Ein Konzert jedenfalls, das viel Emotion transportiert hat.