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Das Gute tun zum Wohl der Nächsten

LESEPROBE / SUKARE / STAUBZUNGE

09/10/15 Job. Konzern. Meeting. Assistentin… Keine Rede von Herkunft oder streng religiöser Erziehung: Als Erwachsener tut der Sohn eines evangelisch-freikirchlichen Pastors und einer Flüchtlingsfrau aus Polen so, als habe er mit seinen Eltern nichts zu tun. Neben einer Erzählerin berichten vier Frauen über Matthias Röhricht und seine Herkunftsfamilie. - Hier eine Leseprobe.

Von Hanna Sukare

Am Morgen sinkt das Gebet des Vaters auf Kakao und Haferflocken, mittags schliert es in die Suppe, abends riecht es aus den Käsebroten. Lieber Vater im Himmel, beginnt der Vater auf Erden, wir danken dir für diese Gaben, fährt er fort, und wir bitten dich, segne sie. Amen. Das Amen sprechen auch die Mutter und die beiden Kinder. Sie sind erleichtert, wenn der irdische

Vater zur Anrufung des himmlischen Vaters die kurze Version wählt. Oft folgen dem Gebet die Tageslosung der Herrnhuter Brüdergemeinde und eine neuerliche Anrufung. Komm Herr Jesus sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast, das sagen die Kinder. Sie blicken zur Tür, ob noch jemand kommt, der Herr Jesus im dunklen Anzug vielleicht, sie sind überzeugt, Jesus trägt einen dunklen Anzug, weshalb sollte der Vater ihn sonst Herr nennen. Der Vater wendet sich an den Vater im Himmel, manchmal spricht er mit dem Herrn Jesus Christus, manchmal mit einem Heiligen Geist. Alle drei scheinen sie Verwandte des Vaters zu

sein und etwas mit dem zu tun zu haben, den er Gott nennt. Die Kinder beneiden diese Verwandtschaft. Der Vater ist mit ihr verbündet, dreimal täglich spricht er mit ihr, den indern schenkt er Schweigen, nennt sie nur selten mit ihren Namen, Matthias, Adele. Über seine irdische Verwandtschaft verliert er kein Wort, zeigt kein Bild. Wenn Jesus nicht kommt und die Eltern, sobald das erlösende Amen gesprochen ist, das Besteck zur Hand nehmen, dürfen auch die Kinder zugreifen.

Wer ist der Vater auf Erden, wer ist der Vater im Himmel? Täglich ist etwas von ihnen anwesend, doch die Kinder sehen beide unscharf, verschwommen. Beide Väter sind das Gesetz. Beide wachen über das Leben der Kinder.

Sonntags steht der Vater in Früdorf auf der Kanzel, er spricht, die Gemeinde lauscht. Wer bist du? Tadelloser, von den Frommen Geliebter, hoch Stehender. Bist du der Vater? Bist du mein Vater, fragt stumm ein Kind zur Kanzel hinauf. Amen, sagt die Mutter jeden Sonntag laut aus der Kirchenbank in die Augen des Vaters. So legt sie Zeugnis ab für die Sätze von oben und versieht sie mit einem Ausrufezeichen. Schließlich verlässt der Vater seine Bühne und schreitet durch den Mittelgang hinaus. Im Portal bleibt er stehen und erwartet die Brüder und Schwestern im Herrn. Für sie findet er Worte, er schüttelt Hände. Der Vater, die ewige Präsenz. Er hat die Welt schon als Vater betreten, als Diener des Herrn, ein Fels von Anbeginn. Ein Kind kann er nie gewesen sein; und seit je hieß er Fau.

Die Wohnung ist das Zuhause, und sie ist der Amtssitz des Vaters. Das geistliche Amt hat sich als Prunkwagen unter seinen Leib geschoben. Die Karosse führt ihn mit der Mutter auf die Anhöhe der Pfarrei, erhebt die beiden über die Dorfbewohner. Schmaler Sold kommt dem Vater zu und eine ehrenhafte Stellung im Dorf. Der Vater ist hier kein Fremder, die Mutter ist kein Flüchtling, und sie heißt Jad. Die Heimat der beiden ist das Reich Gottes. Die Heimat der

beiden ist das Reich Gottes. Niemand fragt den Amtsträger nach den Umständen seiner Geburt, nach seiner Herkunft, keiner will wissen, wer der unter dem Talar ist. Das Amt sichert dem Vater Würde, das Amt macht ihn unantastbar. Einer, zu dem wir aufschauen. Ein Besserer, von Beruf Vorbild. Er tut das Gute, zum Wohl der Nächsten.

Mit freundlicher Genehmigung des Otto Müller Verlages
Hanna Sukare: Staubzunge. Roman. Otto Müller Verlag, Salzburg 2015. 176 Seiten. 18 Euro, e-Book 14,99 Euro - www.omvs.at
Bild: Otto Müller Verlag / Milan Böhm

 

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